Eintrag vom 09.10.2018

Zwischenstandsbericht

 

Das Forschungsprojekt „Teil¬sein & Teil¬haben" startete im Juni 2016, um die die Lebenswelt von Menschen mit Komplexer Behinderung zu erforschen und auf der Grundlage theoretischer wie empirischer Erkenntnisse Handlungsempfehlungen für eine teilhabeorientierte Pflege und Begleitung des Personenkreises zu erarbeiten. Nach seiner nun mehr als zweijährigen Laufzeit gibt es eine Vielzahl von Eindrücken und Erkenntnissen, auf die die Beteiligten aus Wissenschaft und Praxis zurückblicken können.

Gemeinsam mit den acht Projektpartnern aus der Behindertenhilfe wurden zunächst fünfzehn Erwachsene mit Komplexer Behinderung als repräsentative Einzelfälle für den äußerst heterogenen Personenkreis der Menschen mit Komplexer Behinderung ausgewählt. Die Erkundung der Lebenswelt der Probandinnen und Probanden sollte in den kommenden zwei Jahren im Zentrum der Studie stehen.

Nachdem zunächst mittels schriftlicher Befragungen erste Informationen über individuelle Besonderheiten und die Lebensumstände der Proband*innen eingeholt wurden, konnte im Jahr 2017 die ersten Begegnungen mit den Proband*innen und die eigentliche Untersuchungsphase beginnen. Dabei wurde ein multimethodischer Forschungsansatz verfolgt, der sich hinsichtlich der Validität der Ergebnisse als besondere Stärke des Projektes herausstellen sollte. Einen Schwerpunkt bildeten hierbei unter anderem narrative Interviews mit Angehörigen bzw. langjährigen Wegbegleiter*innen zu bedeutenden biographischen Leitlinien und den individuellen Bedürfnissen der Proband*innen. Außerdem wurden die professionellen Unterstützer*innen zu wichtigen Personen und Bezugspunkten im Leben der Studienteilnehmer*innen befragt.

Im Zentrum stand jedoch die teilnehmende Beobachtung der Lebenswelt der Proband*innen. Dank der guten Zusammenarbeit mit den jeweiligen Bezugspersonen, vor allem aber auch aufgrund des sichtbaren Mitteilungswunsches der Menschen mit Komplexer Behinderung konnte das Projektteam die Proband*innen mehrere Tage in ihrem Lebensalltag begleiten - von der Morgenroutine bis zum Schlafengehen. Auf diese Weise wurden vielfältige Einblicke in ihre Lebenswelt möglich. In vielen Fällen lag zudem die Bereitschaft der Beteiligten vor, einige Szenen aus dem Alltag videographisch festzuhalten.

Neben der empirischen Arbeit hat das Projektteam außerdem an einem theoretischen Teilhabe-Konzept gearbeitet, das über die gängigen rechtlichen Definitionen des Teilhabe-Begriffes hinausgeht. Dabei ist ein anthropologisch-ethisches Verständnis von Teilhabe entstanden, wonach „Teilhabe" nicht ausschließlich als Zielperspektive oder Ergebnis verstanden wird, sondern als Phänomen, das in sozialen Bindungen seine Verwirklichung erfährt und stets aufs Neue wieder hergestellt werden muss. Ein Beitrag, der diese konzeptionellen Überlegungen konkretisiert, wird voraussichtlich in der ersten Ausgabe des Jahrgangs 2019 der Lebenshilfe-Zeitschrift „Teilhabe" veröffentlicht: https://www.lebenshilfe.de/informieren/publikationen/fachzeitschrift-teilhabe/

Aktuell werden die erhobenen Daten und gewonnen Erkenntnisse analysiert und zusammengeführt. Dabei nimmt das Projektteam den Teilhabe-Anspruch von Menschen mit Komplexer Behinderung auch für das eigene Vorgehen sehr ernst: Zum einen werden die einzelfall-spezifischen Daten und Ergebnisse so aufbereitet, dass die Proband*innen und deren Unterstützer*innen Einblick in den Auswertungsprozess erhalten. Zum anderen werden auf der Grundlage der (individuellen wie generalisierten) Erkenntnisse Teilhabe-Angebote entwickelt, die einen unmittelbaren Theorie-Praxis-Transfer ermöglichen sollen: Die so entstandenen Impulse werden zurzeit in persönlichen Treffen erprobt und sollen gleichzeitig den Unterstützer*innen Anregungen zur Teilhabegestaltung veranschaulichen und zur Weiterentwicklung anregen.

Darüber hinaus arbeitet das Projektteam an der Entwicklung einer Grundstruktur für ein Weiterqualifizierungsprogramm, das sich an pflegerische wie pädagogische Fachkräfte richtet, die in der Unterstützung und Begleitung von Menschen mit Komplexer Behinderung tätig sind. Ein Handbuch sowie einzelne Handreichungen zu verschiedenen Themenbereichen sind ebenfalls in Arbeit und sollen das Weiterbildungsprogramm konzeptionell ergänzen. Die entstandenen Ergebnisse sowie erste Inhalte und Materialien werden ab dem kommenden Jahr auf verschiedenen Abschlussveranstaltungen und Tagungen der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt.