Prof.in Dr. Gudrun Hentges - Forschung

 

Politikwissenschaft, Bildungspolitik und politische Bildung

 

  • aktuell: Desinformation und Identitätskonstruktion in der demokratischen Gesellschaft. Analoge wie digitale Radikalisierungsprozesse und die Zunahme des Antisemitismus unter Jugendlichen nach dem 7. Oktober 2023 (Dis_Ident)

April 2025: Start des Verbundprojektes Dis_Ident an der Universität zu Köln

Der antisemitische Terrorangriff auf Israel am 07. Oktober 2023 und dessen Folgen stellten für Jüdinnen:Juden weltweit und für jüdische Communities in Deutschland eine Zäsur dar: Der drastische Anstieg antisemitischer Vorfälle sowie eine Sprach- und Empathielosigkeit prägen weiterhin den Status Quo in den Bildungsinstitutionen, wie auch darüber hinaus. 

Dabei sind die Herausforderungen in der Bildungsarbeit und politischen Bildung gegen Antisemitismus nicht grundsätzlich neu, treten nun aber besonders offen zu Tage: Insbesondere israelbezogener Antisemitismus ist auch unter Schüler:innen weit verbreitet und wird von Lehrkräften teils nicht erkannt, bagatellisiert oder gar selbst reproduziert. Dabei stellen sich u.a. Fragen nach Bedarfen der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus, nach ihren praktischen Gelingensbedingungen (etwa Zielgruppenspezifik), ihren (nicht-intendierten) Effekten sowie den institutionellen Rahmenbedingungen (Kerncurricula, Schulbücher, digitale Materialien). Hier setzt das Kölner Teilprojekt des Verbundprojektes Dis_Ident an. 

Forschungsziel

Das Hauptziel des Verbundprojektes Dis_Ident ist die Entwicklung, Evaluation und Implementierung wirksamer Bildungs- und Präventionsstrategien gegen israelbezogenen Antisemitismus und islamistisch motivierte Radikalisierung, die in Form von Workshops und digitalen Präventionsmaßnahmen umgesetzt werden. Dabei wird u.a. untersucht, wie verfestigte Denkmuster aufgelöst werden können und welche Ansätze bei verschiedenen Jugendlichen besonders effektiv sind.

Im Rahmen des bis Ende 2028 geförderten Verbundprojekts kooperieren die LMU München, die Universität Heidelberg, die FAU Erlangen Nürnberg, die Universität zu Köln und MIND prevention (Berlin) miteinander. MIND prevention übernimmt dabei u.a. die Koordination des Gesamtvorhabens und verfügt über wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse im Bereich der Prävention islamistischer Radikalisierung und Antisemitismus. Die Workshops von MIND Prevention basieren auf einem multiperspektivischen, erfahrungsorientierten Ansatz, der Elemente der politischen Bildung, Theaterpädagogik sowie biografischen und sozialräumlichen Arbeit verbindet. Ziel ist es, Reflexionsräume zu schaffen, in denen Jugendliche zur Selbstverortung, zur kritischen Auseinandersetzung mit diskriminierenden und antidemokratischen Erzählungen – etwa in den Bereichen Antisemitismus oder Geschlechterrollen – sowie zur aktiven Perspektivübernahme angeregt werden. Die methodische Umsetzung erfolgt prozessorientiert, dialogisch und partizipativ – mit narrativen, visuellen und performativen Zugängen, die sowohl kognitiv fordern als auch emotional ansprechen und auch in den Forschungsfragen des Verbundprojektes eine wichtige Rolle spielen.

Zentrale Forschungsfragen 

    1. Welche Rolle spielen islamistische Radikalisierungsprozesse und digitale Desinformationen in Bezug auf israelbezogenen Antisemitismus bei der Identitätskonstruktion junger Menschen im Alter von 14 bis 22 Jahren im schulischen Umfeld?
    2. Welche Präventionsstrategien und psychologischen Interventionen sowie Konzepte politischer Bildung und Jugendarbeit erweisen sich als erfolgreich und können zukünftig in die Praxis umgesetzt werden?

Projektkonzept

Das Verbundprojekt wird in enger Zusammenarbeit mehrerer Verbundpartner durchgeführt, die jeweils spezifische Expertisen und Forschungsschwerpunkte einbringen und in verschiedenen Teilprojekten arbeiten:

  • Teilprojekt 1: Desinformation und soziale Medien (Leitung: Prof. Dr. Diana Rieger & PD Dr. Claudia Riesmeyer)
  • Teilprojekt 2: Prädiktoren islamistischer Radikalisierung und israelbezogener Antisemitismus (Leitung: Prof. Dr. Svenja Taubner)
  • Teilprojekt 3: Bedarfsanalyse für Lehrkräfte & Jugendliche (Leitung: Prof. Dr. Gudrun Hentges)
  • Teilprojekt 4: Evaluation der MIND-Workshops und sozialkognitive Mechanismen (Leitung: Prof. Dr. Mark Stemmler & Prof. Dr. Friederike Funk)
  • Teilprojekt 5: Entwicklung von Gegenstrategien (Leitung: Prof. Dr. Gudrun Hentges)
  • Teilprojekt 6: Evaluation der entwickelten Präventionsmaßnahmen (Leitung: Prof. Dr. Mark Stemmler)

In Teilprojekt 3 wird das Kölner Team unter Leitung von Prof. Dr. Gudrun Hentges u.a. eine Analyse von Kerncurricula und ausgewählten Schulbüchern mit Blick auf die Thematisierung von Antisemitismus vornehmen. Zudem werden Interviews und Gruppendiskussionen mit Lehrkräften, Schulpsycholog:innen, Schulsozialarbeiter:innen und jüdischen und nichtjüdischen Jugendlichen durchgeführt. 

Das Teilprojekt 5 zielt auf Gegenstrategien: Das Team um Prof. Dr. Gudrun Hentges wird in diesem Rahmen den Schwerpunkt auf die Lehrkräfteaus- und fortbildung legen. Lehrveranstaltungen für Studierende und Fortbildungen für Lehrkräfte werden auf Grundlage der Bedarfsanalyse konzeptualisiert, durchgeführt und evaluiert.  

Im Projektverlauf werden die Forschungsergebnisse regelmäßig publiziert, konkrete Empfehlungen für politische Entscheidungsträger formuliert und Handlungsansätze für die Bildungspraxis entwickelt.

Fördergeber: Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt auf Basis eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

Pressekontakt:

  • Beatrice Mansour (beatrice.mansour@mind-prevention.com)
  • Prof. Dr. Mark Stemmler (mark.stemmler@fau.de).

 

  • aktuell: Radikalisierung durch Verschwörungsideologien Auswirkungen auf den sozialen Nahraum als Herausforderung für die Bildungs- und Beratungsarbeit (RaisoN)


    Ein neues Verbundvorhaben der TH Köln und der Universität zu Köln beschäftigt sich mit Auswirkungen von Verschwörungsideologien auf den sozialen Nahraum und mit daraus entstehenden Herausforderungen für die Bildungs- und Beratungsarbeit.

    Verschwörungsideologien als integraler Bestandteil von extrem rechten bzw. völkisch-autoritären Weltbildern und solchen, die daran anschlussfähig sind, tragen zu Radikalisierungsprozessen in wachsenden Teilen der Bevölkerung bei. Dadurch ist der gesellschaftliche Zusammenhalt bis auf die gesellschaftliche Mikroebene des sozialen Nahraums betroffen und gefährdet. Aktuelle Studien (wie z. B. die Mitte-Studie 2023) belegen die weite Verbreitung von Verschwörungsideologien und deren Relevanz für völkisch-autoritäre Ideologien. Eine systematische Erforschung der konkreten Auswirkungen von Verschwörungsideologien auf zwischenmenschliche Beziehungen im sozialen Nahraum (u.a. Familie, Freundeskreis) steht allerdings noch aus. Aus den Auswirkungen von Verschwörungsnarrative auf Betroffene, die Verschwörungsgläubige in ihren Familien und/oder Freundeskreisen haben, resultieren spezifische Anforderungen für Beratungsstellen und nonformale politische Bildungsangebote. An diesem Forschungsdesiderat setzt das Verbundprojekt RaisoN an.


    Ziele und Forschungsfragen

    Zu den zentralen Zielen des Projekts gehören die Erforschung der Auswirkungen von völkisch-autoritär orientierten Verschwörungsideologien auf Familien und Freundschaften, die Identifikation von Bildungs- und Beratungsbedarfen und die Entwicklung von Materialien für die Bildungs- und Beratungspraxis. Die zentralen Forschungsfragen lauten dabei:

    I. Welche Auswirkungen können völkisch-autoritäre Verschwörungsideologien auf den sozialen Nahraum haben – insbesondere auf Familien und Freundschaften?
    II. Welche konzeptionellen Herausforderungen ergeben sich daraus für die Beratungsarbeit und für die politische Bildung mit Betroffenen (Eltern, Kindern, Freund:innen, Bekannten) –, aber auch für Multiplikator:innen (z.B. für Fachkräfte in Beratungseinrichtungen oder für politische Bildner:innen im nonformalen Bereich)?


    Projektkonzept

    Das geplante Projekt basiert auf einem Mixed-Methods-Design und auf einem Arbeitsplan, der vier Cluster umfasst. Die ersten drei Cluster widmen sich im engeren Sinne dem Forschungsprozess, das vierte Cluster beinhaltet den Theorie-Praxis-Transfer. Die empirischen Erhebungen werden modellhaft in sechs Bundesländern durchgeführt: Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg.

    In Cluster 1 („Diskurse, Programme, Konzepte“) geht es um die Analyse von Diskursen in Bezug auf völkisch-autoritär orientierte Verschwörungsideologien und ihre systematische Berücksichtigung in Programmen und Konzepten zur Bildungs- und Beratungsarbeit (Methoden: Literatur- und Dokumentenanalyse, Recherche nach relevanten Vernetzungen bei systematischer Berücksichtigung der Perspektiven von Praxispartner:innen aus der Bildungs- und Beratungsarbeit im Kontext Verschwörungsideologien).

    In Cluster 2 („Perspektive der Bildungs- und Beratungseinrichtungen“) geht es um die Rekonstruktion der Auswirkungen von völkisch-autoritär orientierten Verschwörungsideologien auf den sozialen Zusammenhalt in Familien, Freundschaften und anderen Kontexten im sozialen Nahraum aus Sicht von Bildungs- und Beratungseinrichtungen. Außerdem werden Informations- und Beratungsbedarfe und aktuelle Bildungs- und Beratungskonzepte identifiziert (Methoden: quantitative Online-Befragung und vertiefende problemzentrierte Interviews und Gruppendiskussionen mit Fachkräften aus Bildungs- und Beratungseinrichtungen (darunter a) Einrichtungen, die sich auf die kritische Auseinandersetzung mit völkisch-autoritär orientierten Verschwörungsideologien spezialisiert haben, und b) Bildungs- und Beratungseinrichtungen, die ein breiteres Profil aufweisen und nicht auf Verschwörungsideologien spezialisiert sind, aber mitunter damit konfrontiert werden - z.B. freie Bildungsträger der non-formalen politischen Bildung, Familienberatung, Kinder und Jugendhilfe, Schuldner:innenberatung etc.).

    In Cluster 3 („Perspektive der Betroffenen“) geht es um die Rekonstruktion der Auswirkungen von völkisch-autoritär orientierten Verschwörungsideologien auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt im sozialen Nahraum (z.B. in Familien und Freundeskreisen) aus Sicht von Betroffenen (Methoden: problemzentrierte Interviews und Gruppendiskussionen mit betroffenen Personen, die es in ihrem sozialen Nahraum mit Verschwörungsanhänger:innen zu tun haben).

    In Cluster 4 („Bildungs- und Beratungskonzepte“) geht es um den Transfer von Erkenntnissen aus der Forschung in die Bildungs- und Beratungspraxis. Im Sinne eines Theorie-Praxis-Transfers entwickelt das Projekt Materialien für die Bildungs- und Beratungsarbeit; diese basieren auf den Ergebnissen der quantitativen und qualitativen Forschung und umfassen Handreichungen für verschiedene Zielgruppen und Materialien für berufliche Fortbildungen für Beratungsfachkräfte und politische Bildner:innen.

    Regelmäßig stattfindende Forschungswerkstätten mit Praxispartner:innen stellen eine enge Verschränkung von Theorie und Praxis sicher. Ein projektspezifisches Wissenschaftsnetzwerk zielt darauf ab, wissenschaftliche Expertise (u.a. in Bezug auf Beratung und transnationale Dimensionen) systematisch zu berücksichtigen. Die Projektergebnisse werden u.a. im Rahmen einer interaktiven digitalen Informationsplattform für verschiedene Adressat:innengruppen aufbereitet.

    Geplant ist ein langfristiger Wissenstransfer der Projektergebnisse. Die Projektergebnisse werden auf nationalen und internationalen Tagungen präsentiert und finden Eingang in Publikationen und Journals. Darüber hinaus werden die Projektergebnisse im Sinne von Third Mission in die Fachdebatten im Feld der Politik, der Beratung und politischen Bildung eingespeist. Nicht zuletzt finden die Projektergebnisse Eingang in die Lehre der beteiligen Hochschulen und bereichern u.a. die Studieninhalte der Sozialen Arbeit, des Lehramts, der Erwachsenenbildung und der Erziehungswissenschaften. Diese Strategien stellen eine Dissemination der Ergebnisse sicher.