Bildungspolitik und digitaler Wandel: eine historische Skizze

 
«Es ist vollbracht», liess sich Anja Karliczek im Mai 2019 zitieren, nachdem zunächst der Deutsche Bundestag, dann der Bundesrat einer Änderung des Grundgesetzes zugestimmt hatte und die damalige Bundesbildungsministerin endlich die abschliessende Verwaltungsvereinbarung unterzeichnen konnte. Vollbracht worden war der sogenannte «Digitalpakt Schule», mit dem der Bund in die Lage versetzt werden sollte, massiv in den Ausbau der «digitalen kommunalen Bildungsinfrastruktur» zu investieren. Da Bildung in Deutschland aber Sache der Länder ist, musste zunächst das Grundgesetz geändert werden, bevor die Schulen in den Genuss des staatlichen Investitionspakets kommen konnten.
Der «Digitalpakt» war nur der vorerst letzte einer langen Reihe an Impulsprogrammen und Massnahmenpaketen, mit denen Politikerinnen und Politiker in Deutschland endlich den entscheidenden Schritt in der digitalen Transformation des Bildungswesens gehen wollten. Karliczek vollendete hier, was ihre Vorgängerin im Amt, die ebenfalls christdemokratische Ministerin Johanna Wanka, 2016 angestossen hatte. Doch derartige bildungspolitische Initiativen als Antwort auf die «neuen» Informationstechnologien lassen sich in Europa bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen, als zunächst transnationale Organisationen wie die OECD, später dann nationale Regierungen, regionale oder lokale Interessensgruppen auf mehr Informatikbildung und Computernutzung in den Klassenzimmern drangen. Aktionsprogramme zur Computerbildung finden sich in Frankreich, Spanien, der Schweiz, Schweden, Grossbritannien und Westdeutschland genauso wie in den Staaten des sogenannten Ostblocks.
Der Vortrag zeichnet auf der Grundlage eines laufenden, international vergleichenden Forschungsprojekts die unterschiedlichen bildungspolitischen Reaktionen auf den digitalen Wandel nach. Er fragt danach, was aus einer historischen Perspektive unter einer «digitalen Gesellschaft» zu verstehen sein könnte, ob die Bildungspolitik den technischen Entwicklungen, wie häufig behauptet, wirklich immer nur hinterhergelaufen ist und inwiefern sich im Zeichen des digitalen Wandels die pädagogische Semantik verändert hat.
 

Zur Person:

Michael Geiss leitet das Zentrum Bildung und Digitaler Wandel an der Pädagogischen Hochschule Zürich.
Er forscht zu Bildungspolitik und -verwaltung in der digitalen Gesellschaft und zur Rolle von Lehrpersonen bei der Einführung neuer Unterrichtsmedien.
 
 
 
 
 
Bildcredits: 2017, Uppsala/Schweden, Mikael Wallerstedt.