Vorwort

 

Klaus Künzel

 

Übergänge sind Veränderungen lautloser Art. Sie passen zur Erwachsenenbildung, die ein ruhiges Geschäft versieht und auf Barrikaden und Marktplätzen eher komisch wirkt. Zu Übergängen gehört es, daß sie verbinden: Strukturen, Zeiten, Menschen. Sie tun dies in unauffälliger, fast schon zögerlicher Manier und nehmen damit dem Wandel, den sie nicht verleugnen wollen, die Schärfe einer Trennung oder Entscheidung. Übergänge lassen sich Zeit für die Annahmen einer festen Gestalt und verlieren keineswegs ihren Sinn, wenn sich eine solche auf Dauer nicht fixieren läßt. Auch darin ähnelt sie dem pädagogischen Bemühen. Und gleich diesem sind Übergänge reizvoll, weil sie dem Zusammenspiel von Kontinuität und Veränderung keine starren Grenzen setzten.

Mit dem Erscheinen dieses Bandes ist in der Betreuung des Internationalen Jahrbuchs der Erwachsenenbildung ein Wechsel vollzogen worden, sind Übergänge angedeutet. Die Nachfolge seines Gründers und bisherigen Herausgebers, Joachim H. Knoll, anzutreten, gibt mir Gelegenheit, das Verbindende unseres Anliegens herauszustellen und redaktionelle Überlegungen anzudeuten, deren Aufgeschlossenheit für Veränderungen nicht mit Illoyalität gegenüber Bewährtem erkauft werden soll.

Auch in Zukunft wird sich das 'Jahrbuch' um die Erschließung dessen bemühen, was man die 'internationalen Bezüge' der Erwachsenenbildung nennen könnte. Aber was wäre unter dieser wenig verbindlichen Formel zu verstehen? Sind es die gleichen Bezüge und Themen, die zum Zeitpunkt der Gründung des Jahrbuchs offenbar wurden oder welche seinem Initiator von besonderem Interesse schienen? Hat sich die internationale Dimension der Erwachsenenbildung in den vergangenen drei Jahrzehnten spürbar und mit systematischer Präsenz in das theoretische Selbstverständnis unserer Disziplin eingelagert? Oder gibt sich - zumindest in ihrer europäischen Lesart - Internationalität vor allem darin zu erkennen, daß grenzübergreifende Projektarbeit im Bereich der Weiterbildung und in Modellvorhaben zum lebenslangen Lernen als 'Gemeinschaftsaktion' auftritt und u.a. nach Maßgabe ihrer Transferierbarkeit gefördert und in kurzfristig arrangierten (und angelegten) Zweckbündnissen organisiert wird?

Bleiben wir beim Bild des 'Erschließens', dann bietet es sich an, die Vielfalt der kulturellen Praktiken, in denen sich heute Erwachsenenbildung in den einzelnen Regionen und Staaten vollzieht, als einen 'Schatz' zu betrachten, den es zu heben gilt. Begünstigte sind in dieser Variante zunächst die einschlägigen Fachöffentlichkeiten, ferner die Weiterbildungssysteme, die zwecks Innovation und reformerischer Neuorientierung Interesse an einem Informationstransfer verspüren, letztlich jedoch die - ideal gedachte - Gemeinschaftspraxis Erwachsenenbildung als Ganzes. Historisch gesehen läßt sich dieses 'Erschließungsmotiv' mit der Urbanisierung und Modernisierung des erwachsenenpädagogischen Professionsverständnis in Verbindung bringen. Hinzu treten andere Motive: politische Regungen der Völkerverständigung und des zivilen Erfahrungsaustausches etwa; auch die Verschreibung kollektiver Belehrungs- und Besserungsrezepturen ist nicht unüblich. So verdankt sich die alliierte Politik der 're-education' nach 1945 u.a. auch der spätaufklärerischen Vorstellung, nationalkulturell entwickeltes Bildungsbrauchtum ließe sich, beflügelt durch das hegemoniale Selbstverständnis einer siegreichen Zivilisation, in seinem normativen und sozialen Gestaltungspotential faktisch universalisieren und einem gesellschaftlichen Empfängerorganismus wirksam einpflanzen. Auch wenn die Nachkriegsgeschichte der deutschen Erwachsenenbildung mit ihrer doppelten 'Umschulungserfahrung' 1945 und 1989/90 in ihrer exemplarischen Ergiebigkeit nicht überstrapaziert werden sollte: Im Erschließungsmotiv spielt die Vorstellung eines - vorsichtig ausgedrückten - Entwicklungsgefälles zwischen nationalen Weiterbildungspraxen eine ebenso bedeutende Rolle wie die Erwartung eines diesbezüglichen Übertragungsnutzens. Daß mit dergleichen Annahmen das internationale Forschungs- und Kooperationsbemühen einen unmißverständlichen Zug pragmatischer und imperialer Finalität erhält, wird nicht zuletzt in den europäischen Gemeinschaftsaktionen zur Erwachsenenbildung deutlich. Für deren legitimatorische Verankerung im europäischen Einigungsprozeß ist die Prämisse konstitutiv, hinlänglich operationalisierte und validierte Standards erwachsenenpädagogischer Professionalität und Systemgüte seien in multilateralen Arbeits- und Entwicklungsverbünden ermittelbar und ließen sich im Sinne internationaler 'benchmarks' angleichungswirksam durchsetzen. Die bildungspolitischen Ambitionen der EU-Kommission, zur Transfersicherung u.a. die regulative Idee eines 'best practice'-Standards einzuführen, weist in eben diese Richtung: ohne ein Mindestmaß an konformitäts- und synergiefördernden Prinzipien und Umsetzungsniveaus keine nachhaltige Angleichung der Lebensverhältnisse und -chancen in den Regionen der Union.

Die Genese des Internationalitätsgedankens in der Erwachsenenbildung ist untrennbar mit dem hier angedeuteten Optimierungsmotiv verbunden. Vor die zuweilen multikulturell inspirierte Vorstellung, unser erwachsenenpädagogisches Wissen erfahre durch die Kenntnisnahme pluraler Bildungswelten über Grenzen und Kulturräume hinweg Bereicherung - vielleicht gar Vergnügen an der Differenz - schiebt sich zunehmend die Programmatik reformerischen Fortschritts. Mit ihr erhält die politisch gestützte wissenschafltiche Erschließung ausländischer Ideen und Erfahrungen eine betont zweckrationale, strategische Ausrichtung, was sich bsw. auch in der wachsenden Beachtung der vergleichenden Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung im Zeitraum 1965/75 nachweisen läßt. Von internationalen Errungenschaften zu profitieren, wird zu einem Rationalitätskalkül, das politisch und publizistisch überzeugend zu vermitteln ist. Daß J.H. Knoll im Vorwort zum dritten Band des Internationalen Jahrbuchs der EB (1973) gerade mit dem Hinweis auf die utilitäre Vernunft solcher Lernprofite auf breite Zustimmung hoffen durfte, ist angesichts der Reformeuphorien und der planerischen Hochgefühle der frühen siebziger Jahre nicht verwunderlich, zumal mit den gleichzeitig erscheinenden Empfehlungen der UNESCO und des Europarats - betreffs 'lifelong learning' bzw. 'education permanente' - das visionäre Klima des bildungspolitischen Aufbruchs auf supranationale Plattformen übergriff. "In dem Masse", schrieb Knoll seinerzeit, "in dem sich die Erwachsenenbildung in ihrer praktischen wie in ihrer wissenschaftlichen Form einer erhöhten Beachtung im kultur- und bildungspolitischen Reformprozeß erfreuen kann, wird die internationale Orientierung unabdingbar notwendig, um Fehlentwicklungen, die anderwärts erkennbar geworden sind, hierzulande von vornherein auszuschließen." (S.7)

Mit solcher Bestimmtheit und ambitionierten Aufgabenzuschreibung wird man heutzutage eine internationale Dimension der Erwachsenenbildung wohl nicht mehr einfordern können. Insofern hat sich die Ausgangslage und pragmatische Einbindung des Internationalen Jahrbuchs verändert. Gehörte wissenschaftliche Politikberatung und Reformteilhabe von 1970 zu den bildungspolitisch und methodologisch akkreditierten Kennzeichen des Modernisierungsschubs, den die deutsche Erziehungswissenschaft samt ihrer Teilgebiete gerade im publizis-tischen Auftritt offenbarte, haben sich die Leistungserwartungen und Synergiehoffnungen, die zwischen Politik, Bildungspraxis und Erziehungswissenschaft ausgetauscht wurden, in den letzten zwei Jahrzehnten spürbar reduziert. Dabei dürfte die Rücknahme überspannter technokratischer Ansprüche an geisteswissenschaftliche Dienstleistungsfähigkeit ebenso eine Rolle gespielt haben wie die insgesamt strittig gewordenen Haltungen zur 'Machbarkeit' von Bildungsreformen größeren Stils und raumgreifender Geltung. Allerdings ist zu bemerken, daß sich auf den Reißbrettern der supranationalen Bildungspolitik Modernitätsphantasien herkömmlicher Art auch in den neunziger Jahren durchaus noch finden lassen. So orientiert sich namentlich das Weißbuch der EG-Kommission 'Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung' (1994) bei aller Achtung vor dem Gebot, die Gemeinschaftspolitik im Bereich der Bildung größtenteils als subsidiäres Handeln zu begreifen, am 'fortschrittlichen' Leitbild des internationalen Kompetenz- und Strukturtransfers zugunsten der Anhebung und Durchsetzung gemeinschaftsweit geltender Qualitätsnormen im Bildungswesen.

Nach meinem Eindruck wäre der Herausgeber des 'Internationalen Jahrbuchs der Erwachsenenbildung' schlecht beraten, sich solchen politischen Gestaltungszusammenhängen unterzuordnen, einmal weil spätestens mit dem Vertrag von Amsterdam und der Aufwertung bzw. näheren Ausdeutung des Subsidiaritätsprinzips die Einschätzung der bildungspolitischen Handlungsmöglichkeiten der EU in Richtung auf eine Strukturangleichung des europäischen Bildungsraumes weiter erschwert worden ist, zum anderen weil die wissenschaftliche Beschäftigung mit Erwachsenenbildung in internationaler Perspektive heute vor Aufgaben steht, die neue thematische Bezüge und Forschungsprioritäten mit sich bringen. Zu denken ist hier an die Konsequenzen aus maßgeblichen soziologischen Analysen der entwickelten Industriegesellschaft (u.a. Giddens, Beck, Bourdieu, Schulze). Zu denken ist auch an die unwiderruflichen Veränderungen unserer Lebenswelt und Arbeitskultur durch Informatisierung und Virtualisierung sowie schließlich an die globalen Umwälzungen, die im Bildungsbereich auf allen Ebenen supranationaler, staatlicher und gesellschaftlicher Zuständigkeit beschworen und in Programmatiken rezipiert worden sind, die - wie das Mentalitäts- und Organisationskonzept des 'lebenslangen Lernens' - Verbindlichkeitsansprüche vortragen, die soziale Formationen ('learning society', 'lernende Organisation') ebenso betreffen wie den Raum privater Lebensführung und Bildungseinstellung. Die Liste derartiger Entwicklungsaufgaben ließe sich noch beträchtlich erweitern, aber die genannten Punkte mögen hinreichen, um das Spektrum der Phänomene und Anliegen vor Augen zu führen um dessen Erschließung und erwachsenenpädagogische Profilierung sich das Jahrbuch in Zukunft verstärkt bemühen wird.

Wer sich die herausgeberischen Zielsetzungen vergegenwärtigt, die J.H. Knoll dem 1. Band des Jahrbuchs (1969) vorangestellt hat, wird die Kontinuitätschance erkennen, die sich mit seiner Absicht eröffnete, "ein Forum für ein internationales Gespräch" zu schaffen, das "jeweils ein die Wissenschaft oder Praxis in besonderer Weise interessierendes oder betreffendes Problem" aufgreift und verhandelt. (S.9) Die von mir skizzierten 'neuen thematischen Bezüge und Forschungsprioritäten' sollen diese Linie fortsetzen und in theoretischer Absicht weiter präzisieren. Dieses ist kurz zu erläutern. Internationale Bezüge der Erwachsenenbildung zu erschließen, kann in zweifacher Weise realisiert werden: als Nachweis und Herstellung. Nachzuweisen sind Bezüge u.a. durch die historische Rekonstruktion von Begegnungen, Einflüssen, nationaltypischen Modellen, aber auch von konvergierenden Entwicklungen - etwa bezüglich der Rolle des Staates in der Weiterbildung oder angesichts der Herausforderungen, die der Erwachsenenbildung an den Schnittstellen zu den neuen Informations- und Kommunikationsmedien die Stirn bieten.

Den vorherrschenden Zugang nachweisender Verfahren liefern Beschreibung, Bericht, empirisch-analytische Erhebung. Diesem eher rezeptiven Ansatz setzt die Aktionssemantik des 'Herstellens' ein produktives, heuristisches Vorgehen entgegen. Internationale Bezüge, so die zentrale Annahme, konstituieren keinen Gegenstand, der einer wissenschaftlichen Abbildung offensteht, eben: sich nachweisen läßt. Vielmehr sind sie das Ergebnis kommunikativen Schaffens, von Prozessen also, in denen Fachvertreter und -vertreterinnen verschiedener Länder und Kulturregionen gemeinsam Bezug nehmen zu einem Schlüsselthema, das die Arbeit und Profession der Erwachsenenbildung betrifft und auf theoretische Bewältigung drängt. Heuristisches Potential entfaltet ein Thema dann, wenn es die Emergenz internationaler/interkultureller Reflexionsstrukturen fördert und im Bewußtsein des Risikos, den Prozesse der exemplarischen Erschließung von allgemeinen Problemen mit sich führen, die individuelle Prägung und Zugehensweise der beteiligten Autoren und Autorinnen nicht einebnet, sondern zugunsten größerer Differenzierungsgüte und Deutungstoleranz(en) willkommen heißt. Der Herausgeber hofft, mit dem Thema 'Evaluation' einen thematischen Reflexionsanlaß zu bieten, der der Herstellung internationaler Theoriebeteiligungen zuträglich ist. Ich denke, damit käme das vorliegende Jahrbuch auch der weitsichtig angelegten Zielperspektive seines Gründers entgegen.

Ich möchte diesen Band des Jahrbuchs nicht auf den Weg bringen, ohne ein Wort des Dankes an die Personen zu richten, die mir die neue Aufgabe ermöglicht haben, sie fördern und durch tatkräftige Mitwirkung unterstützen. Allen voran will ich Joachim H. Knoll meinen Dank dafür aussprechen, mir sein verdienstvolles Werk zur Fortführung anvertraut zu haben. Seine vielfältigen Schrittmacherdienste und Impulse für die internationale und vergleichende Weiterbildungsforschung werden dem Bild dieses Jahrbuchs auch in Zukunft prägende Züge verleihen. Gerade in Übergangszeiten bleiben seine Leistungen unvergessen. Gedankt sei dem Böhlau-Verlag und Herrn van Ooyen, die den Wechsel der Herausgeberschaft nach Köln umstandslos befürwortet, mitvollzogen und durch einen veränderten optischen Auftritt auch visuell unterstrichen haben. Gefreut habe ich mich über die Zusage der Universität zu Köln, vertreten durch ihren Kanzler Dr. Neyses, die Arbeit am Jahrbuch finanziell zu unterstützen. Dafür sei an dieser Stelle herzlich Dank gesagt.

Zu den Personen, auf deren Mitwirkung ich zählen durfte und ohne deren Hilfe ein so aufwendiges Publikationsprojekt nicht geraten kann, gehören die kundigen Menschen, die sich bereit erklärt haben, meinen Themenvorschlag mit Originalbeiträgen auszufüllen, ferner Martha Friedenthal-Haase und John Field, die mir gemeinsam mit ihrer wissenschaftlichen Kompetenz zur Seite stehen wollen. Nicht zuletzt aber bedanke ich mich bei meinen Mitarbeiterinnen Brigitte Bosche, Stephanie Schell-Faucon und Ines Pepping dafür, daß sie in vielfältiger Form, aber mit gleichbleibender Loyalität und Energie zur inneren und äußeren Gestalt dieses 27. Jahresbandes beigetragen haben.

 

Köln, im Oktober 1999,

Klaus Künzel