Forschung

Der Schwerpunkt unserer Forschungstätigkeit ist theoretische Forschung. Theoretische Forschung kann dreierlei bedeuten: 1) Theorie ist ein Modus der Forschung, 2) Theorie ist Gegenstand der Forschung, 3) Theorie ist Ziel oder Ergebnis von Forschung. In unserer Arbeit spielen alle drei Formen, die häufig miteinander verflochten sind, eine Rolle.

 

Vulnerabilitätsforschung

Seit 2015 gibt es die niederschwellig organisierte „AG Vulnerabilität“. Zusammen mit Prof. Dr. Jörg Zirfas (Lehrstuhl für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Pädagogische Anthropologie, Universität zu Köln) und seinen akademischen Mitarbeiter:innen befassen wir uns mit verschiedenen disziplinären und theoretischen Zugängen und Konzeptionierungen von Vulnerabilität und versuchen, diesen als eigenständigen erziehungswissenschaftlichen Begriff zu begründen. Einerseits begreifen wir Vulnerabilität in unserer Forschung als anthropologisch grundierte, spannungsreiche, dialektisch aufgeladene, historisch, gesellschaftlich und kulturell gebrochene und aufgefächerte Kategorie. Diese eröffnet andererseits die Möglichkeit, eine ganze Reihe erziehungswissenschaftlicher Fragestellungen sowohl theoretischer als auch praktischer Natur zu reformulieren.

Aus unserer Forschungsarbeit sind neben zahlreichen Buch- und Zeitschriftenbeiträgen folgende Bücher hervorgegangen:

  • Burghardt, Daniel/ Dziabel, Nadine/ Höhne, Thomas/ Lohwasser, Diana/ Stöhr, Robert/ Dederich, Markus & Zirfas, Jörg (2017): Vulnerabilität. Pädagogische Herausforderungen. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Stöhr, Robert/ Lohwasser, Diana/ Noack Napoles, Juliane/ Burghardt, Daniel/ Dederich, Markus/ Dziabel, Nadine/ Krebs Moritz & Zirfas, Jörg (2019): Schlüsselwerke der Vulnerabilitätsforschung. Wiesbaden: Springer VS.
  • Dederich, Markus & Zirfas, Jörg (Hrsg.) (2022): Glossar der Vulnerabilität. Wiesbaden: Springer VS.

 

Dissertationsprojekte

Julia Bucher
Arbeitstitel: Gewalt, Anerkennung und die Bedeutung des Anderen. Überlegungen zu einer Theorie der Inter-Subjektivierung im Anschluss an Judith Butler und an gegenwärtige Traumatheorien.
Trotz einer inzwischen breiten Diskussion um Intervention und Prävention von Gewalt und Missbrauch beschäftigt sich die Erziehungswissenschaft auf theoretischer Ebene bislang nur unzureichend mit Prozessen der Subjektgenese, die in Gewaltkontexten virulent werden. In welcher Weise Gewalt auf Subjekte wirkt und diese durch Gewalt hervorgebracht werden, ist zentraler Erkenntnisgegenstand des Promotionsprojekts. Eine der wenigen Subjekttheorien, die machttheoretische und psychodynamische Prozesse gleichsam und in Wechselwirkung berücksichtigt, ist jene Judith Butlers. Ihre Subjekttheorie wird hier herangezogen, um das Verhältnis von Gewalt und Subjektivität zu diskutieren. Ergänzend werden gegenwärtige Traumatheorien fokussiert, die machttheoretische Fragen tendenziell ausklammern, sich hingegen expliziter mit innerpsychischen Prozessen und damit einhergehend Fragen und Zusammenhänge von Sprache, Repräsentation und Repräsentierbarkeit, Erfahrung, Gedächtnis und Erinnerung zu klären versuchen. Eine intersubjektive Perspektive einnehmend werden Prozesse der Anerkennung in den Blick genommen. Ziel der Arbeit ist es somit, unter Rückgriff auf Butlers postsouveränes Subjekt einerseits und auf Traumatheorien andererseits zentrale Elemente der Subjektgenese herauszuarbeiten, die zu einem besseren Verständnis von komplexen intra- wie interpsychischen Dynamiken von Gewalt verhelfen und damit einen subjekttheoretischen Beitrag für die Pädagogik leisten.

 

Lea Braitsch
Arbeitstitel: Abolitionistische Pädagogik.
Das Dissertationsprojekt „Abolitionistische Pädagogik“ verfolgt das Ziel eine abolitionistische mit einer (heil-)pädagogischen Perspektive zu verbinden. Dieser Zusammenführung wird dabei nicht nur unterstellt, dass hierdurch produktive Weiterentwicklungen des jeweiligen anderen Zugangs ermöglicht werden, sondern jene Perspektiven in ihren normativen Horizonten bzw. ihren politischen Zielen – womit ein moralischer Standpunkt einhergeht, der auch das Fundament dieser Arbeit bildet – Gemeinsamkeiten aufweisen.
Ein zentraler Ausgangspunkt hierbei ist die normativ-moralische Setzung der gewählten Zugänge, wonach kein Mensch überflüssig ist. Diese vermeintlich unbedeutende Aussage bildet in gewisser Weise den Startpunkt der Arbeit, zeigt die Interpretation der Figur der „Überflüssigen“, die Berücksichtigung des Konzeptes der Polykrisen sowie Analysen von (staatlicher bzw. pädagogischer) Strafe, dass das Festhalten an den Wert eines jeden Lebens in gegenwärtigen Zeiten brüchig geworden ist.
Ausgehend von den Prämissen abolitionistischer sowie (heil-)pädagogischer Theorien soll eine Idee von Pädagogik entwickelt werden, die eine strukturelle sowie eine anthropologische Dimension berücksichtigt. Somit zielt die Arbeit nicht ausschließlich auf die Untersuchung genereller Unterdrückungssystemen ab, sondern möchte auch den Blick auf das in diesen Strukturen und Systemen lebende Subjekt richten und eine pädagogische Idee skizzieren, die auf Basis jener kritischen Analysen und mit Hinzunahme eines solchen moralischen Standpunktes nicht auf karzerale und punitive Praktiken zurückgreifen muss.

 

KuBIn - Kulturelle Bildung und Inklusion (abgeschlossen)

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt KuBIn - Kulturelle Bildung und Inklusion fokussiert die möglicherweise ‚inklusiven Dimensionen‘ kultureller Teilhabe im Bereich Musik und Sprachkünste und wird in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Kulturwissenschaftlicher Bildungsforschung (Prof. Dr. Cornelie Dietrich, Universität Lüneburg) und Allgemeiner Heilpädagogik (Prof. Dr. Markus Dederich, Universität zu Köln) durchgeführt. Erkenntnisleitend ist die Frage, ob und inwiefern in Bildungsprozessen sprachlich-musikalischer Kommunikation, zugleich mit dem künstlerischen Kompetenzaufbau, ein Beitrag zum Abbau möglicher Berührungsängste und stereotypisierender Wahrnehmungsmuster zwischen Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen geleistet werden kann. Der kulturellen Bildung wird in Hinblick auf den Abbau von ‚inneren‘ Barrieren eine erhebliche Transferwirkung zugeschrieben - das Forschungsvorhaben begegnet diesen Annahmen zunächst mit Skepsis. So ist etwa über die Zusammenhänge zwischen Wahrnehmungsprozessen, Urteils- und Einstellungsentstehung - insbesondere bei Kindern - wenig bekannt. Im diesem Projekt gehen wir im Anschluss an die phänomenologische Theorie der Wahrnehmung davon aus, dass Einstellungen aisthetisch fundiert sind und mit häufig nicht bewussten affektiven Resonanzen einhergehen. Demnach beruhen Teilhabeordnungen, und damit Fragen der In- bzw. Exklusion, auch auf der sinnlich fundierten gegenseitigen Wahrnehmung und Kommunikation.

Für die Bearbeitung der Forschungsfrage wird vor diesem Hintergrund ein vergleichendes Design in zwei Teilprojekten gewählt: die leiblich fundierte Seite der Kommunikation wird zum einen im alltäglichen inklusionsorientierten Grundschulunterricht (TP Köln), zum anderen in musikalisch-künstlerischen, außerunterrichtlichen pädagogischen Settings (TP Lüneburg) untersucht. Im Kölner Teilprojekt sollen diese ‚mikrologischen Prozesse‘ unter Berücksichtigung materieller, räumlicher, personeller, didaktischer und curricularer Aspekte darauf hin analysiert werden, ob sich in ihnen ordnungsbildende Strukturen, Muster und Regeln zeigen. Methodisch erfolgt die ethnografisch angelegte Datenerhebung anhand (zum Teil videogestützter) teilnehmender Beobachtungen, Interviews und Gruppendiskussionen zu drei Erhebungszeitpunkten über einen Zeitraum von drei Schuljahren (Projektlaufzeit bis 12/2019). Die Auswertung der Materialien findet unter Bezugnahme auf leibphänomenologische und kulturtheoretische Rahmungen statt. Zentral sind die komparatistischen Analysen der Ergebnisse beider Teilprojekte im Hinblick auf Teilhabeordnungen, die sich auf der zwischenleiblichen Ebene manifestieren. Mit dem Forschungsvorhaben soll ein Beitrag zur empirischen und theoretischen Fundierung des Zusammenspiels von Wahrnehmung, künstlerischer Gestaltung und Teilhabe in inklusionsorientierten pädagogischen Settings geleistet werden.