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Interdisziplinäre Tagung

Gewalt – Vernunft – Angst

16.–17. November 2017, Universität zu Köln 

In Zeiten zunehmender politischer und gesellschaftlicher Unsicherheiten geraten die subjektiven Bewältigungsformen von Kontingenzen und Lebensrisiken mehr und mehr unter Veränderungsdruck – auch, da spätmoderne Lebensbedingungen mit Anforderungen des Optimierens bei gleichzeitiger Zunahme von gewaltförmigen Diskursen konfrontiert sind. Unsicherheiten, Gewaltphantasien und Ängste können die Folge sein.

Gewalttätige und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Menschen oder Staaten werden mehr und mehr präsent. Dies erhöht die Wahrnehmung von Gewalt und physisch ausagierter Willkür und produziert neben vernünftigen Auseinandersetzungen Gefühle von Angst und Abwehr. Zugleich bieten medial verbreitete Imaginationen vielfältige Möglichkeiten zum Ausleben und Miterleben von Gewalt- und Angstphantasien in einem nie gekannten Ausmaß und in nie gekannter Intensität. Angesichts dieser Situation stehen die klassischen, mit der europäischen Tradition verknüpften vernunftbasierten Diskurs- und Bewältigungsformen vor neuen, bisher nicht gekannten Herausforderungen.

»Vernünftig« auf die deutlicher werdende Präsenz von Gewalt unter spätmodernen Bedingungen von Heterogenität und Vielfältigkeit, die auszuufern scheint, zu reagieren, »vernünftig« mit den eigenen und fremden Ängsten umzugehen und auch mit den Faszinationen – umzugehen, die mit Gewaltphänomenen verbunden sind – das erscheint zunehmend schwierig. Das stellt alle Formen wissenschaftlichen Denkens vor neue Herausforderungen. Nicht nur einzelne Personen sind damit konfrontiert, sondern auch Lebensbereiche wie Familie, Bildung, Medienleben und Alltagshandeln sind davon betroffen. Daraus ergeben sich politische, soziale, biographische und pädagogische Probleme.

Veranstalter

Prof. Dr. Jutta Ecarius 

Zeitpunkt und Ort der Veranstaltung

16.-17. November 2017, Universität zu Köln, Neuer Senatssaal

Anfahrt

Universität zu Köln
Albertus-Magnus-Platz
50931 Köln 

Karte (Google-Maps) 

Straßenbahn Linie 9,  Haltestelle »Universität«
Bus Linie 130 und 146, Haltestelle »Universität«

Programm

Tagungsprogram »Gewalt – Vernunft – Angst« (PDF) 

Tagungsgebühr

ProfessorInnen: 35€
Wiss. Mitarbeitende/ Promovierende: 20€
Studierende: 5€

Anmeldung

Bitte verwenden Sie für die Anmeldung den Anmeldebogen (PDF Datei) und senden Sie den ausgefüllten Anmeldebogen an: gewalt-vernunft-angst@hf.uni-koeln.de

 

Darstellung der wissenschaftlichen Zielsetzung

Mit der Tagung »Gewalt – Vernunft – Angst« werden aktuelle Geschehnisse aufgegriffen und mit wissenschaftlichen Sichtweisen konfrontiert. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Bedeutung Angst und Vernunft im Kontext von Gewaltdarstellungen, Gewalterfahrungen und einer gesellschaftlichen Zunahme an Terrorbedrohung zukommen. Gewalt und Terror sowie die Angst vor Katastrophen haben einerseits neue Ängste und andererseits neue Diskurse über die Grundlagen vernünftiger Reaktionen darauf hervorgebracht. Diese Diskurse haben gerade in Köln aufgrund der Silvesternacht 2015/16 eine besondere Brisanz: Das damals Geschehene steht zwar in einer Reihe von neuen Verunsicherungen und Gewaltanschlägen, kann zugleich aber auch als eine entscheidende »Bruchstelle« der Wahrnehmung und Beurteilung angesehen werden. 

Mentalitätsgeschichtlich ist das Projekt der Moderne eng verbunden mit der Einhegung von Gewalt. Mit Beginn der Aufklärung argumentiert schon Kant vernunftphilosophisch in seinem Entwurf »Zum ewigen Frieden» 1795, dass die demokratische Verfasstheit von Staaten und der Aufbau von Staatenbündnissen die Chance auf einen dauerhaften Frieden erhöhen. Kant fordert im Grunde einen »ständigen Kongress«, eine Föderation von Staaten, um mit einer praktischen Vernunft Umgangsformen nach einem moralischen Maßstab zu begründen. Hiermit nimmt er das vorweg, wozu auch die UN-Charta von 1945 völkerrechtlich aufruft. Begründungen des Krieges werden gewissermaßen unzulässig, sie werden illegitim. Ausnahmen sollen alleine der Abwehr von außerordentlichen Gefahren oder der Wiederherstellung des internationalen Friedens dienen. Unberücksichtigt bleiben dabei jedoch ökonomische Überfrachtungen durch wirtschaftsstarke Länder, soziale Ungleichheiten und religiöse Machtansprüche. Insofern ist der Kompromiss-Charakter des Kant’schen Modells immer wieder neu zu diskutieren: Inwiefern dient es vor allem der Friedenssicherung von wirtschaftsmächtigen, zumeist säkularisierten spätmodernen Staaten? Liefert es auch Legitimationen zu deren imperialer Ausdehnung?

Potestas als rechtmäßige Verfügungsgewalt liefert insofern die Basis-Begründung von Staatlichkeit und Frieden mit anderen Staaten. Für Max Weber sind »alle politischen Gebilde Gewaltgebilde«, der Staat ist eine menschliche Gemeinschaft mit dem Monopol auf »legitime physische Gewaltsamkeit«. Weber war bewusst, dass religiöse und politische Gewalt eigene Formationen bilden und revolutionär wirken können, Gefühle einer »Pflicht zum Glaubenskrieg« aufkommen können. Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie es gelingen kann, dass Menschen, die potentiell alle die Fähigkeit zur Gewaltausübung haben, friedlich miteinander leben. Die Geschichte von demokratischem Denken ist eng verbunden mit der Herstellung von Frieden und einem gerechten Umgang miteinander, wobei das Recht auf freie Entfaltung und der Erwerb von Eigentum darin eingeflochten sind. Die rationale Einsicht in eine Rechtsordnung mit Gewaltmonopolisierung auf Seiten des Staates geht einher mit der Idee und Umsetzung friedfertigen Umganges, was zugleich dem Prinzip des Demokratischen inhärent ist. Deshalb ist die anthropologische Annahme der »Verletzungsoffenheit des Menschen« (Popitz) mit Modellen einer gleichberechtigten, auf Vernunft beruhenden Ordnung des Umgangs miteinander zu verbinden. Zugleich erschwert der Schutz menschlichen Lebens als universalistischer Wert die Anwendung und Rechtfertigung von Gewalt. Das Projekt der Moderne ist so auf das Engste mit der Lösung von Gewalt und der Etablierung von Gewaltlosigkeit verbunden.

Daher treffen Gewalthandlungen und gewalttätige Ausschreitungen jeglicher Art- seien sie nun religiös oder politisch motiviert – den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses, insbesondere dann, wenn sie vor Ort geschehen und nicht in fernen Ländern, weit weg von eingefriedeten Räumen. Angst und Unvernunft, Furcht und Aggression, Wut und gewalttätig Unbändiges, wenn nicht sogar animalisch Erscheinendes, bedrohen demokratische Grundwerte und insbesondere die Vernunftorientierung des politischen Handelns, bedrohen auch die Basis-Errungenschaften der Aufklärung, auf denen unser Verständnis von Politik und die Traditionen der Moderne beruhen. Die Geschehnisse verändern die Art der Wahrnehmung und den Blick, denn Augen und Ohren können nicht mehr übersehen, dass auch die violentia weiterhin ihren Platz in der Moderne hat, auch wenn sie »vernünftig-gedanklich« daraus verbannt zu sein schien. »No-Go-Areas«, (Wirtschafts-)Kriminalität, Gangs, Hooligans, rechte und linke Gewalt sowie häusliche und sexuelle Gewalt bestehen fort, sind immer noch nicht eingehegt.

Gewalt wird in vielen wissenschaftlichen Ansätzen der Kultur-, Erziehungs-  und Sozialwissenschaften vorrangig als Problem behandelt. Das macht darauf aufmerksam, dass Gewalt und das Projekt der Moderne als zwei unterschiedliche Stränge angesehen werden. Daher scheint gegenwärtig das Gefühl auf, dass die Gewalt wieder im Vormarsch ist, dass das Barbarische das Vernünftige erneut überschattet, manchmal sogar seinen Platz einzunehmen versucht und uns sprachlos macht. Die Theorie-Modelle von Elias und auch von Foucault unterstellen – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung – den zivilisationsgeschichtlichen Prozess eines Wandels vom Fremd- zum Selbstzwang, der körperlichen Einschreibung einer Selbstdisziplinierung, mit der eine Veränderung von Verhaltensmustern und Körperstrukturen verbunden ist. Kampf, Aggression und auch Wut werden vom Einzelnen, vom Subjekt, sublimiert und eingefriedet in eine reflexives Verhalten und Denken, mit dem Gewalt verarbeitet und letztlich gebannt scheint. Gewalt wird in spezielle Räume verbannt wie Fußball oder Kampfsport, in Musik oder begrenzte Lebensphasen (Jugend). Die Zurichtung des Körpers kontrolliert und fördert Leistung unter dem Duktus der Disziplinierung. Hier lockt dann der Lohn für das Gute, erscheint Gewalt als überflüssig. 

Beides – der Gedanke einer friedfertigen Staatlichkeit und eines disziplinierten Denkens, Handelns und Körpers – bedarf einer neuen Diskussion, die Gewalt stärker beleuchtet – wie Koloma Beck und Schlichte fordern – und sie in soziale Ordnungen, in Handeln und Subjektbildung einbezieht. Der wissenschaftliche Blick hat sich diesem Thema verstärkt zuzuwenden. Insofern geht es weniger darum, auf einzelne Gewalttaten oder Gewaltexzesse zu fokussieren und wissenschaftlich zu beleuchten, sondern sozialen Dynamiken von Gewalt in Prozessen der Spätmoderne zu rekonstruieren. In Kultur und Sozialität sind – im Sinne von Trotha – Gewaltphänomene eingeschrieben und als solche zu untersuchen. Die soziale Logik von Einstellungen, Gefühlen, Ängsten und auch Vernunft sowie sozialem Handeln ist in den Kontext von Gewalt zu stellen, sodass diese nicht mehr negiert werden kann, vielmehr in den Blick gerät und erforscht wird.

Es bedarf einer öffentlichen, interdisziplinären und internationalen Diskussion. Folgende Fragen sollen auf der Tagung diskutiert werden: 

  1. Gibt es ein menschliches Fühlen von Angst, Scham und Zittern, das durch Gewalt, Terror und Medien weiter »aufgepeitscht« wird, so dass die Vernunft scheinbar nichts mehr zu bewirken vermag? Woraus speist sich diese Grunderfahrung – aus Wertkonflikten, fehlender Resonanz oder Furcht vor dem Fremden? 
  2. Welche Bedeutung kommt den Strukturen von Heterogenität, Beschleunigung und Optimierung in spätmodernen Gesellschaften hierbei zu? Reicht ein reflexives vernünftiges Gespräch mit dem Versprechen um Aufklärung?
  3. Lassen sich Angst und Furcht durch Vernunft beruhigen oder aufheben, und welche Wirkung hat Gewalthandeln?