#8 FSP Hören und Kommunikation – Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation der Sonderpädagogik

 

Thema:               Förderscherpunkt Hören und Kommunikation der Sonderpädagogik

Gastgeber:          Jannik Nitz (Lernwerkstatt)

Gäste:                 Prof. Karolin Schäfer und Kathrin Vogt (Universität zu Köln)

 

 

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Jannik Nitz: Ich wollte eigentlich erst sagen, die erste Folge nach Corona, aber so ganz stimmt das nicht. Wir können uns aber wieder treffen, und das haben wir auch gemacht, wir wollten nämlich dieses Gespräch eigentlich im März aufnehmen, das wurde nichts, und jetzt konnte ich mich mit Prof. Dr. Karolin Schäfer und Frau Vogt von der Uni Köln treffen, um über den Förderschwerpunkt HK (Hören Kommunikation) zu sprechen. Den haben wir genauer in den Blick genommen, Hören und Kommunikation, und dementsprechend ist diese Folge erneut gespickt mit Expertise für Studienanfängerinnen und Studienanfänger aber auch für erfahrene Lehrkräfte, also eine interessante Angelegenheit. Wir sprechen über Forschung, Möglichkeiten der späteren Arbeit, Gründe für Hörschädigung und vieles Weitere. Ich möchte gar nicht zu viel vorwegnehmen aber gerne auch nochmal ermutigen, dazu Fragen an uns zu schicken was andere Förderschwerpunkte der Sonderpädagogik angeht, sodass wir mit den Personen, die wir sonst noch so einladen werden in den kommenden Folgen, über diese sprechen können. Zwei haben es auch heute in die Folge geschafft, also viel Spaß hiermit jetzt und kommt gut durch die Zeit.

 

Jannik Nitz: Schön, dass Sie da sind. Frau Professor Dr. Karolin Schäfer und Frau Kathrin Vogt vom Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation, wenn man das so im Weitesten sagen kann. Sie sind Sonderschullehrerin im Hochschuldienst Frau Voigt, und Frau Schäfer ist Junior Professorin am Lehrstuhl für lautsprachliche kommunizierende Menschen. Vielleicht fangen wir da gerade mal an, was bedeutet dieser Förderschwerpunkt?

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Das kann ich gerne übersetzten, das mag auf den ersten Blick hin seltsam klingen, lautsprachlich kommunizierende Menschen mit Hörschädigung, vielleicht kann man sich das besser vorstellen, wenn wir von Schwerhörigen sprechen. Schwerhörige sind Personen, die haben einen Hörverlust, sind aber lautsprachlich kommunizierend in aller Regel. Daneben gibt es natürlich noch die Gehörlosen, das sind die Personen, die einen schwereren Hörverlust haben, und möglicherweise, mit Gebärdensprache kommunizieren. Wobei wir ja heute sicherlich auch noch dazu kommen, dass das ja heute nicht mehr so einfach aufzuteilen ist, in Gehörlos und Schwerhörig, sondern, dass da die Grenzen fließend sind.

 

Jannik Nitz: Ich denke, dass ist auch mit das bekannteste, was man so in der allgemeinen Wahrnehmung kennt, von Menschen die, ganz grob gesagt, Probleme mit dem Hören haben, das irgendwo eine andere Kommunikationsform gefunden wird, und dann eben Gebärden irgendwie auftreten. Frau Voigt, Sie waren in der Schule, wenn ich das richtig verstanden habe?

 

Kathrin Vogt: Ja, ich war sogar sehr lange in der Schule. Über 25 Jahre, bevor ich an die Uni gekommen bin, das ist aber eher so ein bisschen zu mir gekommen, weil ich auch gefragt worden bin und bin auch ganz glücklich, dass ich das gemacht habe. Ich habe allerdings auch keinen so ganz klassischen Weg gehabt, weil ich in der größten Zeit meiner Schultätigkeit gar nicht in der Stammschule gearbeitet habe, sondern vor allen Dingen in der Beratungsstelle,  wo eben Eltern mit Ihren Kindern hinkommen, um Hören abzuklären oder eben auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen abzuklären und dann hab ich im gemeinsamen Lernen, also in der Inklusion gearbeitet, bin also immer rumgefahren habe die Lehrkräfte vor Ort beraten ,mit dem Schülern gearbeitet aber auch mal ganzen Klassen Unterricht gemacht und auch die Kinder, die in diesem FS auch im Vorschulischen Bereich schon betreut werden, bzw. die Eltern oder die ganzen Familien nach der Diagnose, denn da bietet, zumindest ist das in NRW so, das ist nicht in allen Bundesländern so, aber in vielen ist es so, dass die sogenannte Frühförderung an die Förderschule angekoppelt ist und man die Kinder und Eltern, Familien auch eben schon im vorschulischen Bereich begleitet in Hören, Sprachlernprozessen, Gebärdenbenutzung und was auch immer.

 

Jannik Nitz: Ich will Ihnen die Praxis nicht absprechen, aber 25 Jahre Schule ist natürlich eine Hausnummer oder direkte pädagogische Praxis. Frau Schäfer, Sie sind Junior Professorin, was versteht man darunter? Vielleicht das nochmal, um da den Rahmen zu fassen.

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Also Junior Professur bedeutet nicht zwangsläufig, dass man besonders jung ist, das kommt meistens zusammen, dass man jünger ist, allerdings ist eine Junior Professur von denjenigen Personen, deren Promotion noch nicht allzu lange her ist. Und die nicht habilitiert sind. Also die Junior Professur bietet Personen, die nicht habilitiert sind, eine Chance auf eine reguläre Professur zu kommen, in dem Sie sich über sechs Jahre lange weiter qualifizieren und dann habilitationsadäquate Leistungen erbringen. Das ist die Stelle, die ich jetzt seit mittlerweile drei Jahren innehabe.

 

Jannik  Nitz: Ok, nur, dass wir den Rahmen einmal kurz abgesteckt haben und das alle auf dem gleichen Stand sind wer hier so mit wem spricht. Die Expertise ist erkennbar, die Sie beide mitbringen. Wie viele Schülerinnen und Schüler haben wir den in dem FS so ungefähr, was können wir denn da so für Zahlen festsetzten?

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ich habe zahlen aus den Jahren 2017/2018. Das sind etwa 20.000 Schülerinnen und Schüler im FS Hören und Kommunikation in Deutschland. Die Aufteilung in Förderschule und Inklusion ist dabei ungefähr gleich. Und mit einem steigenden Anteil an Schülerinnern und Schülern die Inklusiv beschult werden.

 

Jannik Nitz: Sie haben jetzt schon im Vorgespräch gesagt, dass ich Ihnen das irgendwie ein bisschen wenig vorkommt, diese Zahl, wie würde sie das erklären, dass es vom Gefühl her etwas anders ist?  

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, ich war überrascht, ich habe es zunächst nachgeschlagen zuvor, um da ganz sicher zu sein und hab jetzt heute früh nochmal nachgeschlagen, weil ich dachte es erscheint mir so wenig. Also ich weiß, dass Hören Kommunikation ein kleines Fach ist, ein kleines Fach im Sinne von, die Adressatengruppe ist nicht so groß wie in den anderen Förderschwerpunkten, z.B. geistiger Entwicklung, Lernen oder emotional soziale Entwicklung. Die haben deutlich größere Kohorten, wir sind ein sogenanntes kleines Fach und ‚Sehen‘ also Blinde oder Sehbehinderte, das sind noch weniger als im FS Hören und Kommunikation. Ich hätte trotzdem gedacht, dass es mehr sind, wenn ich ehrlich bin, weil man ja mit dem Thema insofern in Kontakt kommt, als dass man auch als Person, die das nicht studiert oder nicht beruflich damit zu tun hat, immer mal wieder jemanden sieht mit Hörgeräten oder Cochlea Implantaten, ich tue das zumindest. Ich nehme daher mal an, dass andere das natürlich auch tuen und immer mal wieder damit in Kontakt treten, weil man das ja eben auch sieht, wenn jemand versorgt ist oder mit Gebärden kommuniziert. Man muss allerdings dazu sagen, wer hat den FS? Das sind jetzt eben diejenigen, die den diagnostizierten Förderbedarf haben und den FS auch in Anspruch nehmen. Ich kann mir also auch vorstellen, dass es zahlreiche andere Personen gibt, die zum Beispiel geringgradigen Schwerhörigkeiten haben, Hörgeräteträger sind, aber gar keinen sonderpädagogischen Bedarf haben oder diesen nicht in Anspruch nehmen. Das wäre jetzt die Erklärung, die ich dafür hätte.

 

Jannik Nitz: Wir lassen die Zahlen einfach mal so stehen, und ich würde gerne nochmal auf die Bedürfnisse eingehen von Schülerinnen und Schülern, die mit dem Förderschwerpunkt daherkommen. Wie äußert sich das im Schulalltag?

 

Kathrin Vogt: Ich glaub, was zunächst wichtig ist, ist festzustellen, dass die Heterogenität der Schülerschaft sehr groß ist, als es gibt halt Schülerinnen und Schüler, die einseitig hörgeschädigt sind, aber auch die Förderschule besuchen.

 

Jannik Nitz: Das bedeutet genau auf einem Ohr?

 

Kathrin Vogt: Genau, das bedeutet auf einem Ohr einen Hörschaden haben, also auf dem anderen Ohr dann „normal“ hören und bis hin zu Taubheit. Und die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler mit diesen unterschiedlichen Hörschäden sind natürlich auch sehr unterschiedlich. Und das macht schon diese Schülerschaft stark aus, an der Förderschule für Hören und Kommunikation, die dann ja auch noch aufgeteilt ist in die Grundschulstufe, in die Sekundarstufe und dann auch noch den Bereich des gemeinsamen Lernens oder der Inklusion. Sodass sich dann sehr ein sehr variables Bild zeigt. Und, dass auch so, weil eben nicht so viele Schülerinnen und Schüler einer Kategorie zusammen in eine Klasse kommen können, weil wir gar nicht so viele Schülerinnen und Schüler haben, sind die Klassen auch oft gemischt. Das heißt es gibt Klassen, da sind Kinder drin, die eben leichtgradig hörgeschädigt sind, aber vielleicht noch einen zusätzlichen Förderschwerpunkt Lernen haben, und die lernen zusammen mit gehörlosen Schülerinnen und Schüler, die muttersprachlich gebärdensprachlich kommunizieren und dann haben wir noch vielleicht ein Kind, das in früher Kindheit mit einem Cochlear Implantat versorgt ist und vielleicht sogar bilingual aufgewachsen ist. Also da gibt es sehr viele unterschiedliche Bedürfnisse, die oftmals zusammen in einer Klasse Berücksichtigung finden müssen.

 

Jannik Nitz: Also ist also eine allgemeine Handlungsanweisung an Lehrkräfte jetzt auch nicht direkt möglich, direkt ableitbar und die Didaktik ist da also offen?

 

Kathrin Vogt: Es gibt sicherlich grundsätzliche didaktische Überlegungen, die sicherlich für alle Schülerinnen und Schüler der Förderschule Hören und Kommunikation gelten, das fängt damit schon mal mit den raumakkustischen Bedingungen an. Die Schulen sind raumakkustisch anders ausgestattet, sind gedämmt, haben alle Teppichböden. Die Klassen sind klein, das heißt man versucht Halligkeit zu vermeiden, was natürlich in Turnhallen jetzt auch nicht so funktioniert, aber das heißt es gibt kleine Klassen. Die Klassen sind 10-12 Schüler groß, es gibt aber auch Klassen mit 6 Schülern und es gibt immer eine Sitzordnung, die in einem Halbrund ist, jede Schülerin und jeder Schüler hat einen eigenen Tisch, diese sind in einem Halbrund angeordnet, sodass sich alle Schülerinnen und Schüler auch sehen können und eben auch die Mimik und Gestik und das Absehbild zum Verstehen nutzen können. Es gibt in den meisten Schule und in fast allen Klassen inzwischen digitale Verstärkeranlagen, die die Kinder und Jugendlichen nutzen können, um auditiv besser erreichbar zu sein. Das ist mittlerweile auch mit so einem Gegensprechanlagensystem gekoppelt, sodass man auch am Platz oder auch außerhalb des Platzes ins Mikro sprechen kann und es trotzdem übertragend wird.

 

Jannik Nitz: Technologie sieht man ja auch in der Uni zum Beispiel, sodass solche unterstützenden Systeme gesellschaftlich deutlich größere Präsenz haben.

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Genau, also wir haben an der Universität auch viele Studierende, die selber von Hörschädigung betroffen sind und da wäre es dann auch so, dass wir alle als Dozentinnen und Dozente dann eben die Übertragungsanlagen tragen und damit den Studierenden erleichtern besser in den Veranstaltungen zu hören. Es gibt aber auch die Möglichkeit Gebärdensprachdolmetscher oder Schriftsprachdolmetscher zu nutzen, da haben wir also eigentlich alles da. Wenn man das noch nicht kennt, habe ich schon mal gehört von den Betroffenen selbst, dass es Personen gibt, die diese Anlage verweigern, dieses Mikrofon, weil Sie denken, dass sie aufgezeichnet werden. Und da muss man natürlich dem ein oder anderen Vorurteil, oder er ein oder anderen Sorge auch entgegentreten und das Versuchen wir jetzt auch ganz aktiv aus dem Förderschwerpunkt.

 

Kathrin Vogt: Es gibt auch gerade jetzt unter der allgemeinen Lehrerschaft manchmal die Befürchtung, dass es Elektrosmog/Strahlung beinhaltet und deshalb die Anlage nicht trage wollen. Da gibt es aber mittlerweile auch Untersuchungen zu, dass es eben nicht der Fall ist und damit kann man die Lehrkräfte dann eben auch beruhigen.

 

Jannik Nitz: Solange das Handy nicht in der Hosentasche ist…

 

Kathrin Vogt: Das ist sicherlich mit höherem Elektro Smog versehen (lacht).  Aber das ist auch ein wichtiges Kriterium für die Inklusion, dass die Kinder auch technisch gut ausgestattet sind und da zahlt inzwischen auch der Schulträger für die raumakkustischen Maßnahmen und auch der Landschaftsverband übernimmt auch teilweise Kosten für die Erstausstattung, wenn Kinder in die Schule kommen, das könnte sicherlich auch noch umfangreicher sein, aber insgesamt gibt es da durch die UN-Behindertenrechtskonvention auf jeden Fall einen deutlichen Schub in eine gute Richtung, dass man da eine andere Unterstützung hat inzwischen.

 

Jannik Nitz: Kann man sich das so vorstellen, dass in den Regelschulen beispielsweise dann ein Klassenraum oder gewisse Klassenräume dann in dieser Art und Weise hergerichtet werden und andere „normal“ bleiben oder wie ist da der Alltag in der Institution?

 

Kathrin Vogt: Das kann so sein, oftmals wechseln die Klassen ja ihre Räume, dann ist das eben für diese Klassen nicht so, die bleiben dann in Ihrem Raum. Es gibt aber auch Schulen, die dieses Lehrerraumprinzipien haben, das ist dann viel komplizierter, da ist das dann nicht in der Form möglich, es gibt aber auch Schulen, die insgesamt so eine Sanierung bekommen haben. Das ist dann wiederrum schwierig für die Eltern, die möchten, dass Ihre Kinder in die Nachbarschule gehen, weil die pier group dahingeht, dann wird man schon verwiesen, man stattet jetzt nicht noch die andere Schule aus, weil wir schon diese ausgestatte haben, also dann muss man sich entscheiden, was einem wichtiger ist, aber da sind die Maßnahmen oder der Umfang der Maßnahmen sehr unterschiedlich, aber prinzipiell ist das so, dass dann unter Umständen ein Raum ausgestattet wird.  Es gibt aber auch die Möglichkeit mit der mobilen Soundfieldanlage zu arbeiten, das ist so eine Raumbeschallung, das sind Lautsprecher, die in einer Reihe angeordnet sind, die dafür sorgen, dass der Schall im ganzen Raum verteilt wird und dann hat man ein Mirko und man kann auch die Übertragungsanlagen der einzelnen Schülerinnen und Schüler, die hörgeschädigt sind mit einbinden, sodass auch alle Schülerinnen und Schüler davon profitieren können. 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, ich denke, das ist ein Punkt, der auch ganz ganz wichtig ist, dass von diesem Maßnahmen eigentlich alle profitieren, also das ist nicht zum Nachteil anderer Personen, dass die Räume akustisch besser ausgestattet sind, völlig im Gegenteil, also das sind Maßnahmen die für alle sehr sinnvoll und gut sind.

 

Kathrin Vogt: Diese Raumübertragungsanlagen sind auch letztendlich nicht für diesen FS konzipiert, sondern eigentlich für bessere Akustik in größeren Räumlichkeiten, wo man vermehrt Störschall ausgesetzt ist. 

 

Jannik Nitz: Akustik ist im Lehrberuf ja so oder so ein Thema…

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, für die Lehrperson hat das auch große Vorteile, wenn sie nicht immer gegen Lärm und Halligkeit anreden muss. Wir wissen ja, dass viele Lehrkräfte funktionale Stimmstörungen entwickeln im Laufe ihrer Berufstätigkeit, weil sie immer gegen Lärm ansprechen und das dann eben so tun, dass dann irgendwann die Stimme drunter leidet also es ist eigentlich für alle eine großartige Verbesserung.

 

 Jannik Nitz: Ich hätte noch eine, im weitesten Sinne, medizinische Frage. Was gibt es für Ursachen, um nicht hören zu können? 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, also es gibt verschiedene medizinische Ursachen, die auch diagnostiziert werden können, dazu gehört die Schallleitungs- und die Schallempfindungsschwerhörigkeit, das sind unterschiedliche Schädigungsorte im Bereich des Gehörorgans. Bei der Schallleitungsschwerhörigkeit wäre die Schädigung oder der Schädigungsort irgendwo im Bereich des Schallleitungsapparat, das bedeutete vom Äußeren Ohr bis hin zur Cochlea oder häufig im Mittelohr. Gründe können Fehlbildungen sein, es gibt auch temporäre Hörverluste durch Mittelohrentzündung, die wahrscheinlich schon mal jeden selber am eigenen Leib erfahren hat. Das ist eine temporäre Schallleitungsschwerhörigkeit und dann gibt es die Schallempfindungsschwerhörigkeiten, die in aller Regel verortet sind im Innenohr, das heißt in der Hörschnecke, in der Cochlea oder dahinter. 

 

Jannik Nitz: Da gibt es aber Möglichkeiten durch Implantate beispielsweise?

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Genau also Hörgeräte oder Hörimplantate das sind die beiden Versorgungsmöglichkeiten. Knochenleitungshörgeräte gehören auch noch dazu, das sind die Versorgungsmöglichkeiten/Optionen im Fall von Hörverlusten. Also auch Operationen könnten bei Schallleitungsschwerhörigkeiten unter Umständen indiziert sein.

 

Jannik  Nitz: Gibt es Studien dazu in weit das Auswirkungen auf das Erwachsenwerden/Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen hat?

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, also es gibt interessante Studien dazu, insbesondere interessant zu wissen ist vielleicht, wenn man nicht aus dem FS kommt, dass Kinder mit einer Hörbehinderung zu 90% in Familien geboren werden, wo beide Eltern nicht hörbeeinträchtigt sind. Das hat natürlich große Auswirkungen auf die Eltern-Kind Kommunikation, weil das Thema Hörschädigung in der Regel etwas ist womit Eltern sich noch nicht auseinander gesetzt haben zuvor und wodurch Eltern erstmal stark verunsichert werden können. Wie kommuniziere ich denn jetzt mit meinem Kind, das Kind reagiert unter Umständen verzögert, beschwerlicher oder gar nicht. Das Kind ist frühversorgt mit Hörhilfen, die irgendwie gehändelt werden müssen, also kann man sich vielleicht vorstellen, dass das bei einem Kleinkind oder Säugling herausfordernd ist, wenn das Geräte am Kopf trägt, vielleicht ist eine Operation notwendig, also das sind natürlich alles Dinge die einen großen Einfluss auf Eltern aber auch auf die Kinder selbst haben,  das hat Einfluss auf die Eltern-Kind Beziehung und Interaktion und macht sicherlich dann auch den Einsatz von Frühförderung und anderen Maßnahmen ab einem sehr frühen Alter notwendig. Und das ist ein Unterschied zu anderen FS wo möglicherweise eine Förderbedarf erst viel später, zum Beispiel im Zuge der Schule, deutlich oder diagnostiziert wird. Wir haben den Förderbedarf von Hören, häufig nicht in allen Fällen, aber sicherlich bei den peripheren Hörstörungen, das sind also die bei denen es einen Schädigungsort gibt, es gibt auch die zentralen Hörstörungen, die auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung, die hat keinen Schädigungsort und würde häufig dann erst im Schulalter auffällig werden, aber bei den peripheren Hörschädigungen haben wir auch durch die Einführung des Nuegeborenenhörscreenings vor 11 Jahren mittlerweile einen frühestmöglichen Zeitpunkt der Diagnostikmöglichkeit. 

 

Jannik Nitz: Das ist so super interessant, weil genauso wie Sie das gerade sagen, habe ich das quasi noch nie kennengelernt, dass man einen FS oder eine Beeinträchtigung in dem Falle dann ja durch die verschiedenen Zeiten und durch die verschiedenen Modalitäten des Körpers dann unterschiedlich festgesetzten könnte oder irgendwie unterschiedlich schwer diagnostizieren könnte. Ich komme ja eher aus dem FS emotionale soziale Entwicklung und da hat man irgendwann dann den Punkt in der Schule, wo sich der FS definiert und zu Problemlagen kommt und das ist da natürlich etwas ganz anderes, daher ist das sehr spannend. 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Das ist bei uns anders, wobei ich vielleicht an dieser Stelle auch sagen muss, nicht jede Hörstörung oder Hörschädigung ist angeboren. Also man kann die quasi jederzeit erwerben, sie kennen ja die Altersschwerhörigkeiten, von denen wir wahrscheinlich zu einem großen Anteil im Alter alle betroffen sein werden und das gilt auch für Kinder. Im Kindesalter kann auch eine Hörstörung erworben werden oder sich verändern, dass heiß progredient verlaufen, sich verschlechtert das ist also nicht in allen Fällen obligatorisch angeboren.

 

Jannik Nitz: Wo wir gerade schon bei Studien und Forschung und so weiter sind, was gibt es denn so für Forschungsgebiete, die derzeit dann im FS bei Ihnen auftauchen? Gibt es da vielleicht etwas, dass man gerade vielleicht als bahnbrechend verkünden könnte oder ob irgendwo Forschungsdesiderate gerade geschlossen werden. 

 

Kathrin Vogt: Ein sehr großer Forschungsbereich, den wir gerade erleben, ist diese bilinguale-bimodale Förderung hörgeschädigter Kinder. Und wo es darum geht Kinder mit Lautsprache und Gebärdensprache oder deutscher Gebärdensprache, das ist ein eigenes Sprachsystem, die DGS, zu versorgen, welche Bedingungen brauchen wir dafür, welche Schwierigkeiten und Herausforderungen gibt es dabei und müssen wir stemmen, das ist ein Forschungsgebiet, das sehr umfänglich bedient wird im Moment. 

 

Jannik Nitz: Das macht ja auch Sinn…

 

Kathrin Vogt: Da geht es auch darum, dass vielleicht dieses Fach, DGS, in die Förderschulen Hören und Kommunikation implementiert wird. Dass es ein Fach geben soll „Hörgeschädigtenkunde“, wo es um die Sozialisation hörbehinderten Menschen insgesamt geht. Es ist auch eine Frage der Identitätsförderung, die damit verbunden ist, weil man eben auch unterscheidet zwischen schwerhörigen Identität, die angekoppelt ist an das Lautsprachsystem und der Gehörlosenidentität die angekoppelt ist eher an die Deaf Community und dann gibt es noch die CI-Trägerinnen und Träger, die dazwischen hängen, weil sie ohne ihre Geräte eben taub sind, fast alle oder viele, aber mit den Geräten aber eigentlich eher in die Rolle oder Identitätsrolle der Schwerhörigen fallen und dadurch ein bisschen hin und her pendeln unter Umständen. 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Wobei man muss immer deutlich sagen, oder das hatte ich ja am Anfang erwähnt, die Grenzen verschwimmen oder verändern sich, es ist jetzt nicht so, dass man sagen kann jemand ist gehörlos geboren, also ist das eine Person mit gehörloser Identität oder jemand bekommt ein Cochlea Implantat (CI) und rutscht dann in die Gruppe der Schwerhörig, oder jemand hat einen mittelgradigen Hörverlust, bekommt Hörgeräte und ist dann schwerhörig. Das ist tatsächlich nicht so, sondern die Möglichkeiten und Optionen in welche Rolle man später rutschen möchte oder in welche Rolle man rutscht, ist ganz unterschiedlich verteilt, und da ist es vielleicht auch Aufgabe, der Lehrkräfte die das begleiten und der Frühförderer das herauszufinden mit den Kindern und da ist auch die bilinguale-bimodale Förderung mit dabei, dass sie eben erstmal verschiedene Optionen anbietet, sodass das Kinder später Möglichkeiten hat sich zu entscheiden oder eben auch mit verschiedenen Kompetenzen ausgestattet wird um sich später verschiedener Identitäten zuzuwenden. Also auch die Identitätsfrage hat bei uns eine lange Geschichte, die natürlich auch ganz stark gekoppelt ist an die Kommunikation und an die Sprache, die die Person nutzt. 

 

Jannik Nitz: Und wahrscheinlich auch an die Familien, oder? Also diese 10% von denen Sie eben gesprochen haben, die quasi in Familien aufwachsen, wo die Eltern dann hörgeschädigt sein können oder sind, wachsen ja mit einer anderen Identitätsfindung auf als die anderen 90%. Wie kann man sich das vorstellen, diese anderen 10%. Kann man das als eine sehr geschlossene Community verstehen oder wie muss man das betrachten? 

 

Kathrin Vogt: Das ist glaube ich auch sehr sehr unterschiedlich. Das ist so ein bisschen wie das Wandern zwischen den Welten. Wenn ich mich für die eine Form entschieden habe dann muss ich die andere ja nicht ablehnen. Ich kann ja auch hin und her wechseln und so ist das ein bisschen sicherlich auch in diesem Fall. Es gibt Familien, die selber gehörlos sind und eher gebärdensprachlich kommunizieren, die sich in Ihrer Community weitgehend bewegen, es gibt aber auch Familien, die sich mehr in die allgemeine Welt öffnen und sich da auch in den verschiedenen Bereich bewegen. Es gibt auch gehörlose die sich mit einem CI versorgen lasse, auch wenn es nicht mehr zu einer Sprachwahrnehmung kommt, aber dann zu einer Geräusche Orientierung. Also auch das gibt es. Es gibt auch Eltern, die sagen, nein wir möchten gar keine apparative Versorgung und wünschen das auch für unsere Kindern nicht.  Also das ist sehr sehr unterschiedlich. Was sicherlich diese Problematik mit begleitet, dass es über so viele Jahrhunderte diesen Konflikt gibt zwischen dem Gebrauch der Gebärdensprache und dem Gebrauch der Lautsprache oder die Ohrlaisten gegen die Gebärdenbefürworter. Die ganze hörgeschädigten Pädagogik ist ja schon eine sehr Alte. Auch die Gehörlosenbildung ist schone eine sehr sehr alte im Vergleich zu allen anderen FS. Und damit gibt es auch schon viele viele Altlasten. Als ich studiert habe, da gab es diesen Streit auch schon die Gebärdenbefürworter gegen die Lautsprachbefürworter. Das war noch ein richtig massiver Kampf und da musst man sich noch auf die eine oder auf die andere Seite schlagen, das hat sich jedoch deutlich geändert und das ist jetzt eher ein gemeinsamer Weg geworden, aber die Gehörlosen Community hat trotzdem immer noch diesen alten Schmerz der sich immer weiter fortgepflanzt hat und viele der Älteren gehörlosen Menschen haben auch noch eine Erziehung genossen, die von vielen Übergriffen oder großer Brutalität begleitet wurde, und ich glaube, dass es da auch nicht selten zu Traumata gekommen ist. Das ist auch was, was nach und nach aufgearbeitet werden muss und ich habe auch den Eindruck, dass auch die Forschung in dem Bereich jetzt so dominant ist, weil es ein Gleichgewicht geben muss…

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Es gibt einen Nachholbedarf.

 

Kathrin Vogt: Genau, es gibt einen Nachholbedarf an der Stelle und jetzt ist es manchmal so, dass man denkt, naja aber die Bedingungen vieler Familien sind gar nicht immer so gegeben, dass man beides zur Verfügung stellen kann. Das ist auch für Eltern eine große Herausforderung, Kinder bilingual aufwachsen zu lassen, also bilingual-bimodal. Modal bedeutet mit den Händen, nicht mit dem Stimmapparat. Was viele Eltern auch nur schwer leisten können und das wird manchmal ein bisschen vernachlässigen, dass es eine Bedingung braucht, um diesen Weg gehen zu können. Und ich kenne viele Eltern aus meiner Zeit in der Frühförderung, die sagen, finden wir sehr spannend, möchten wir gerne machen, dass aber in Ihrem Alltag gar nicht umgesetzt bekommen. Beide Eltern arbeiten, die Kinder sind in der KiTa, da werden schon mal ein paar Gebärden mit eingebracht, aber von Gebärdensystem kann man da nicht sprechen und dann muss das dann am Wochenende oder am Abend aufgeholt werden und das ist kaum zu schaffen. Und da muss man schon wirklich dahinterstehen und sagen ja ich möchte das für mein Kind und ich kenn auch Kinder die das abgelehnt haben, die auditiv gut angebunden waren, durch ein Cochlea Implantat Versorgung und die dann sagen ne ich möchte das nicht. Also es gibt eine Menge Herausforderungen auch zu stemmen und dann gibt es auch noch die Problematik, dass es eigentlich nicht genug gebärdenkompetente Lehrkräfte gibt, nicht nur im Schulsystem, sondern auch in der Frühförderung, die die Eltern und Familien auf dem Weg begleiten. Das wird inzwischen auch von der Eingliederungshilfe sogar bezahlt, wenn man den Antrag stellt, nach einigen Mühen, aber es gibt gar nicht genug Personen, die diese Dienstleistung bereitstellen.

 

Jannik Nitz: Wir kreisen so ein bisschen um die Herausforderungen, auch an die Lehrkräfte, des Förderschwerpunkts. Da kam im Vorfeld die Frage, inwiefern kann ich Gebärden lernen im Studium? 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, also bei uns in Köln und so ist das an anderen Universitätsstandpunkten auch, gibt es Gebärdenkurse, für die Studierenden. Die Studierenden haben als die Möglichkeit, verschiedene Kurse, mit verschiedenen Abschlüssen zu belegen. Was vielleicht wichtig ist zu sagen ist, dass die neben dem Studium also neben den eigentlichen Kursen laufen, und dass es dafür keine eigenen Credits gibt. Aber andererseits ist das ein freiwilliges Angebot der Universität, bei der man die Möglichkeit hat, sich weiter zu qualifizieren, aber es ist nicht in das Lehramtsstudium eingebunden. Man muss allerdings um sich vom Bachelor in den Master zu wechseln ein bestimmtes Sprachniveau erreicht haben, aber das ist relativ basal, also dass ich nach dem Weg fragen kann, dass ich mich vorstellen kann. Ich glaube, bis man tatsächlich die Kompetenz hat, tatsächlich in deutscher Gebärdensprache zu unterrichten, das setzte eine deutlich höhere Kompetenz aus, nahezu die eines Muttersprachlers. Aber wir haben auch viele Studierende, die bis zu diesem Niveau hoch kommen in den Gebärdenkursen. Wir haben selber Dozenten hier bei uns in Köln, die gehörlos sind und die Gebärdensprachkurse geben und das ist natürlich für die Studierenden eine ganz tolle Möglichkeit jemanden kennen zu lernen, der gehörlos ist und der dann eben die entsprechenden Kurse gibt und das so ganz authentisch aus seiner Wahrnehmung zeigen kann. Also dieser Kontakt ist tatsächlich ab dem ersten Semester gegeben, wenn man hier studiert. 

 

Kathrin Vogt: Da gibt es auch Unterstützung von der Studierendenschaft, in der Fachschaft zum Beispiel, die veranstalten „Psst“-Partys, wo man eben nicht spricht, sondern gebärdet. Sodass es da auch eine Möglichkeit gibt sich auszuprobieren und zu üben, weil das schon auch eine Herausforderung ist, weil man nicht ständig damit in Kontakt ist. Dafür ist es halt auch sehr schön, dass wir gehörlose Studierende auch haben, die mit den anderen, hörenden Studierenden in Kontakt sein können, und sich austauschen können und üben können und den hörenden Studierenden ein großes Vorbild sein können und einfach eine schöne Begegnung auch sind

 

 Jannik Nitz: Was sind weitere Studieninhalte? Das war ja kein direkter Studieninhalt, denn die Kurse laufen ja nebenbei, aber was sind weitere tatsächliche Studieninhalte des FS bei ihnen?

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Wir haben ganz breit gefächerte Themen bei Medizin, audiologische Grundlagen, wobei die derzeit nicht direkt am Anfang des Studiums gelehrt werden, sondern so mittendrin. Es gibt natürlich Kurse da geht es um Hörhilfen, die technischen Möglichkeiten, es gibt Kurse zur Sozialisation hörbehinderter Menschen, es gibt Kurse zu Psychologie hörbehinderter Menschen, es gibt Kurse zu Kommunikationsformen. Das sind alles Inhalte, die unser FS abdeckt über das gesamte Studium

 

Kathrin Vogt: Und auch die Didaktik im Unterricht ist ein Thema natürlich und auch die Sprachentwicklung und die Sprachentwicklungsherausforderung oder Schwierigkeiten, die mit einer Schädigung zusammenhängen sind auch Thema. Wir haben ganz zu Anfang auch über Auswirkungen gesprochen, sodass es eine besonders deutliche Problematik ist, dass Kinder mit Hörstörungen eben auch oft Sprachentwicklungsstörungen entwickeln. 

 

Jannik Nitz: Ich hatte noch eine Frage im Vorfeld bekommen, die hatte mich selber stutzig gemacht, ich würde sie gerne stellen, mal gucken was sie dazu sagen. An was für Schulen kann man mit diesem FS unterrichten? Ich hätte gedacht, das ist sehr klar definiert, aber die Frage schien mir undefiniert 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Nein, das ist es nicht, man kann unterrichten später an den Förderschuleinrichtungen. Man kann aber auch im gemeinsamen Unterricht in der Inklusion unterrichten und man kann, zumindest ist das in NRW so, in der Frühförderung arbeiten, eben als Lehrkraft, die mit Kindern arbeitet von 0-6 Jahre. Das heißt, dass ich hier in Familien fahren würde und Beratungsangebote und kindzentrierte Angebote den Eltern unterbreite. Also in der Inklusion arbeiten heißt nicht nur, dass man Lehrer ist an einer Schule, die inklusiv aufgestellt ist, sondern dass man im mobilen Dienst arbeiten könnte. Das heißt, ich bin an der Förderschule tätig, aber ich fahre wöchentlich andere Einrichtungen bei mir in der Region an und mache da Beratungsangebote für die Regelschulkräfte und auch Angebote für das Kind. Diagnostikbegleitung, Angebote für die Eltern, bei denen ich eben in den Schulen als Gast bin und da das bestehende System berate. Das ist sicherlich auch ein sehr interessanter Arbeitsplatz. Aber es ist richtig, dass ist zu Beginn des Studiums noch nicht so recht festgelegt. Ich studiere also erstmal das gesamte Studium durch und wo ich später lande oder wofür ich mich interessiere das ist dann eben noch nicht festgelegt…

 

Jannik Nitz: …was ja auch ganz schön sein kann.

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, man könnte auch am Gymnasium-Gesamtschule, das haben wir eben auch, oder Berufskolleg später arbeiten, das ist tatsächlich dann der Studiengang, für den man sich festlegt und auch hier haben wir entsprechende Einrichtungen in NRW, aber auch in den anderen Bundesländern, in denen das später möglich ist, dort als Lehrkraft zu arbeiten. 

 

Kathrin Vogt: Du hattest gerade schon erwähnt, dass es eben schon zwei verschiedenen Studiengänge, oder drei sogar gibt. Ich kann Berufskolleg und Hörgeschädigtenpädagogik studieren, ich kann Sonderpädagogik allgemein mit den zwei Schwerpunkten studieren und ich kann auch Gymnasium-Gesamtschule mit einem Fach und dem FS Hören und Kommunikation studieren. Und da ist der Einsatz ein bisschen beschränkte. Man kann dann an Berufskollegs eingesetzt werden, entweder in inklusiven Settings oder es gibt eben in Essen solch ein Berufskolleg, aber es gibt eben auch in anderen Bundesländern Einrichtungen für Jugendliche und junge Erwachsene hörgeschädigte Menschen, wo man Schulabschlüsse nachholen oder erweitern kann, aber auch ein Abitur machen kann unter förderspezifischen Aspekten. Also unter hörgeschädigten spezifischen Förderbedarf und auch eben eine Berufsschule die damit verbunden ist. Dann gibt es eben auch spezifisch neben den Förderschulen mit dem FS Hören und Kommunikation, die nur einen Realschulabschluss anbieten, der wird an den anderen Förderschulen auch angeboten, dann aber als 10B Abschluss, und ansonsten sind es die Richtlinien der Hauptschule die da zugrunde gelegt sind.

 

Jannik Nitz: Also insgesamt sehr breit gefächert

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Total!

 

Jannik Nitz: Ist ja gut zu wissen, als Studienanfänger/in so etwas mitzubekommen und eben auch mehr Freiheit zu haben in dem was man später macht.

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Vielleicht auch wirklich in der Frühförderung zu arbeiten. Viele haben ja mit dem Studium Sonderpädagogik im Sinn ich stehe später vor der Klasse. Das ist bei uns nicht zwangsläufig so. Wenn ich in der Frühförderung arbeite, dann bin ich bei jüngeren Kindern später berufstätig und das haben noch nicht alle so im Blick, aber das ist durchaus eine Option. 

 

Kathrin Vogt: Man hat auch die Möglichkeit an den Förderschulkindergärten zu arbeiten, weil der Förderschulkindergarten in die meisten Förderschulen auch oft integriert ist. Das ist auch eine Besonderheit dieses Förderschwerpunktes. Da arbeiten auch Sonderschullehrkräfte, neben zusätzlich ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern.

 

Jannik Nitz: Ich finde, wir haben schon ziemlich viel über den Förderschwerpunkt gehört. Ich würde aber gerne auch noch ein bisschen was über Sie beide persönlich hören. Was sind so Ihre eigenen Motivationen gewesen, diesen Förderschwerpunkt bzw. in diese Richtung zu gehen. Vielleicht fangen wir mal mit Frau Schäfer an. 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ich habe tatsächlich eine persönliche Motivation. In meiner Familie gibt es mehrere Personen, die von einer Altersschwerhörigkeit betroffen sind, also wenn man so will lautsprachlich kommunizierende Personen, die irgendwann in Ihrem Leben von Altersschwerhörigkeit betroffen waren oder sind. Und da bin ich so hineingewachsen und erinnre mich da ganz speziell an meinen Opa, der war aufgrund einer Kriegsverletzung auf einem Ohr ertaubt, und das andere hat dann so einen progredienten Hörverlust über viele viele Jahre gehabt, also nachher praktisch ertaubt. Hat dann auch ein Hörgerät getragen und ich habe da viel Zeit verbracht bei meinen Großelter, also quasi täglich als kleines Kind und habe das ebenso mitbekommen. Natürlich wächst man da auch irgendwie rein, in einen hörgeschädigten spezifischen Umgang, also man erschreckt die Person nicht in dem man sich plötzlich von hinten annähert, man achtet auf die Antlitzgerichtetheit, man achtet auf Mundbild, schreien bringt nichts. Das sind Dinge, die ich tatsächlich dann schon gelernt habe als Kind und was ich leider dann auch gelernt und gesehen habe, wie sehr das isoliert sozial. Mein Großvater war im Einzelgespräch nicht eingeschränkt, sobald aber da zwei, drei, vier Leute waren oder Familienfeiern, hat er daneben gesessen und nichts mehr mitbekommen. Und das drückt unheimlich aufs Gemüt. Ich denke, das kann man sich vorstellen. Das war zu beobachten, auch das Hörgerät hat ständig gepfiffen, also hatte eine starke Rückkopplung wahrscheinlich, weil der Hörverlust hochgradig an Taubheit grenzen war. Das weiß ich allerdings nicht, ich habe nie ein Audiogramm gesehen. Als ich dann später studiert habe, ich habe allgemeine Sprachtherapie in Dortmund studiert, Rehabilitationspädagogik, war Hörstörung unter anderem ein Thema von Mehreren. Und da habe ich eine Sitzung über CI gesehen und ich war so begeistert, ich war vollkommen fasziniert, ich habe gedacht das ist es doch. Da war mein Großvater schon verstorben, aber wenn er das gehabt hätte, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, das wäre doch was für Ihn gewesen. Er war ein technisch sehr interessierter Mensch, jederzeit hätte er das sicherlich sehr gerne ausprobiert und da ist so eine, fast schon technische Faszination entstanden, die sich dann aber im Laufe der Zeit wiederum gewandelt hat in eine Begeisterung wie interdisziplinär dieses Thema ist. Wir haben Mediziner, Audiologen, Akustiker, Sonderpädagogen, Lehrkräfte, Therapeuten. Alle sind mit diesem Thema befasst. Es ist zwar leider so, dass jeder nur mit seiner spezifischen Lupe darauf schaut, das kann man nicht ganz von der Hand weisen, aber nichtsdestotrotz ist es so riesig, trotz der ja eigentlich doch so kleinen Personengruppe. Ich selber habe Jahre gebraucht, um das meiner Meinung nach, erst richtig zu durchdringen, wie vielschichtig es eigentlich ist. Eben nicht nur mit einer kleinen Lupe darauf zu schauen. Das ist ebenso mein persönlicher Zugang dazu gewesen, dass ich danach tatsächlich das Gefühl hatte, ich kann nichts anders mehr tuen, weil, das ist es. Das war es dann nachher nicht, denn ich habe dann nachher auch noch in anderen Bereichen gearbeitet, unter anderem im Bereich Körperbehindertenpädagogik mit Personen die, unterstützt kommunizieren, also da habe ich auch jahrelang gearbeitet, aber der Bereich Hörstörung oder Hörschädigung das war sofort für mich faszinieren.  

 

Jannik Nitz: Total interessant. Ich gebe den Redestab an sie weiter Frau Voigt

 

Kathrin Vogt: Der Beginn, mich mit meiner beruflichen Orientierung zu beschäftigen, war die Tatsache, dass ich in meiner Jugend sehr viel Jugendarbeit gemacht habe. Zunächst christliche Jugendarbeit war ich involviert, da haben wir schon damals, das war 1980, da haben wir schon die erste Gruppe gebildet mit geistig behinderten und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen. Das war motiviert von einem Freund, der eine Schwester hatte mit geistiger Behinderung und dann dachten wir das wäre doch toll, wenn wir das zusammenpacken könnten. Mit Menschen zusammen arbeiten war sowieso wichtig für und dann habe ich gedacht, das würde ich gerne machen. Durch eine Nachbarin habe ich dann noch den Tipp bekommen, guck doch mal an der Schwerhörigen Schule. Damals hat man noch Schwerhörigenpädagogik und Gehörlosenpädagogik getrennt studiert. Die hat mich eingeladen, weil sie dort Lehrerin war und dann habe ich da hospitiert und war sehr begeistert von dieser Schule. Und zwar eigentlich genau von dem, was wir eben schon angesprochen hatten, dass es ebenso ein großes Spektrum an Einsatzmöglichkeiten gibt. Man kann mit Säuglingen, den Eltern und mit Zehntklässlern arbeiten. Und wenn man in GL konnte man, zumindest war das damals so, auch die Jugendlichen mit in die Oberstufe begleiten. Das machen jetzt vor allem Kollegen vom Berufskolleg und von der Oberstufe. Also es war ein großes Feld und das hat mich sehr begeistert und es hat mich auch begeistert, die Tatsache über die Möglichkeit der technischen Versorgung, diese Beziehungsgestaltung eine anderen sein kann und werden kann, wie ich angebunden bin ansprechen und hören. Wie ich das damals erlebt habe und dann hat mich eben auch diese Frühförderung fasziniert, weil man da also eben an der Wurzel, an der Basis arbeitet und nicht nur mit den Kindern, sondern die gesamte Familie im Blick hat und begleitet. Für mich ist auch immer wichtig gewesen, diese Expertisen klar zu benennen, die Eltern sind Spezialisten für Ihre Kinder und haben erstmal die Rolle das ganze Geschehen zu führen, und wir sind dabei mit unserer Expertise, aber wir fügen uns in das Geschehen mit ein und bringen die Impulse mit dazu. Ich habe in einem Praktikum/Studium somit die ersten CI erlebt, die noch sehr gruselig aussahen, weil sie wie ein Klinkenstecker in den Kopf gesteckt wurden, also nicht mal unter der Haut waren, wo wir alle dachten hm ob das jetzt schon die Zukunft ist. Und so habe ich den ganzen Weg der Technik mitbekommen in meiner Laufbahn. Dadurch, dass ich vorrangig immer im mobilen Dienst tätig war, mehr mit lautsprachlich kommunizierenden Kindern und Jugendlichen zu tun gehabt und bin weniger in sekundäre Welt eingetaucht. Ich sehe auch viele Schwierigkeiten aus dieser Perspektive der Eltern, die eben zu 90% hörend sind und da auch erstmal für ihr Kind möchten, dass es teilhat an dem Leben, dass sie selber führen. Das Kind zu integrieren und diese Gebärdensprache mit einzubauen finde ich auch einen sehr spannenden weg. Ja und dann hat es mich irgendwie an die Uni gespült, wo es jetzt auch darum geht, Menschen, die sich diesem Sujet zugewandt haben, zu unterstützen und eine Haltung zu entwickeln, eine Selbstreflexion zu praktizieren und sich mit der Expertise in den Dienst zu stellen

66        Prof. Dr. Karolin Schäfer        Was man vielleicht sagen muss, bei uns ist nicht die Perspektive „Helfen-Heilen-Reparieren“, worauf man vielleicht kommen könnte bei dem Technikeinsatz, darum geht es keinesfalls und überhaupt nicht. Es gibt viele technische Möglichkeiten die Erleichterung bringen können, aber wir bilden keinen klassischen Hilfsberuf aus, sondern kompetente Pädagogen, die Familien und Menschen auf dem Weg begleiten ins Erwachsenenleben. Und auch im Erwachsenenleben ist der FS nicht weg, Hören, also der ist natürlich im Beruf weiterhin da und wichtig und da werden auch Ausstattungen benötigt, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, für Menschen mit Hörbehinderung. Dafür haben wir ja auch noch den außerschulischen Studiengang bei uns in Köln, den Studiengang Rehabilitationswissenschaft, da haben wir entsprechende Module.

 

Jannik Nitz: Ich würde das so fast schon als Schlusswort stehen lassen, aber erstmal noch die Frage, haben wir irgendwas vergessen? Wollen sie irgendwas ergänzen, zu dem, was wir bisher beschlossen haben? Gibt es irgendwas, das auf dem Zettel steht, dass noch ungebändigt raus muss? 

 

Kathrin Vogt: Als wir über die Forschungsschwerpunkte gesprochen haben, hatten wir ja gesagt, dass diese Gebärdendiskussion einen großen Raum einnimmt, was ein Forschungsschwerpunkt wieder sein könnte, sollte, müsste, wären auch die Bereiche der Hörerziehung, des Hören-Lernens, des Hören-Kultivierens, weil das natürlich, dadurch das wir sehr schnell eine Gebärde mit einbauen, wenn Kinder nicht über den auditiven Kanal alleine verstehen können, oftmals ein bisschen hinten rüber fällt. Das wäre vielleicht noch wichtig, dass es auch wichtig ist, das Hören zu kultivieren, wenn Kinder akustisch und auditiv angebunden sind und da auch ein Werkzeug zu Didaktik und Methodik in der Förderschule zur Verfügung zu stellen. 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Frühförderung hat sich darüber hinaus häufig auf Eltern ausgerichtet, wobei ja heutzutage die Formen möglicherweise anders sind. Mütter sind wieder früher berufstätig, da wäre auch die Frage, wie kann man Frühförderung gestalten, wenn Kinder große Teile des Tages in einer Einrichtung, also in einer Krippe oder KiTa verbringen. Das macht Fortbildungsangebote für Erzieherinnen und Erzieher notwendig. Da sind wir gerade in einem großen Umschwung oder einer großen Veränderung. Mich persönlich betreibt auch noch das Thema Mehrfachbehinderung und Hörschädigung, da bin ich recht aktiv, weil es dazu tatsächlich wenig gibt. Wenig Erkenntnisse und wenn es welche gibt, dann sind diese jedoch eher medizinisch oder audiologisch und weniger pädagogisch. Also da würde ich mich freue, wenn man da Konzepte entwickeln würde, die dann auch möglicherweise übertragen werden können.

 

Jannik Nitz: Also für die Studies, die möglicherweise in diese Richtung eine Bachelor- oder Masterarbeit schreiben wollen, wäre das sicher ganz interessant. 

 

Kathrin Vogt: Ein anderes weites Feld, dass gesellschaftlich mehr diskutiert wird, ist dieses Feld der sogenannten auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung, die viele Komorbiditäten mit sich bringt. Also Lese-Rechtschreibproblematiken, auch das Spektrum gibt es da Auswirkungen oder überhaupt einen schulischen Lernerfolg zu garantieren. Das ist auch ein Thema, mit dem sich der FS Hören und Kommunikation beschäftigt, weil es eine zentrale Störung ist, die die auditive Informationsverarbeitung betrifft, nicht so sehr das periphere Hörsystem. Und trotzdem, aber ähnliche oder vergleichbare Auswirkungen hat wie eine periphere Hörstörung haben kann. 

Jannik  Dann würde ich die letzte Möglichkeit geben, noch etwas loszuwerden, und zwar an potenzielle Studienanfängerinnen und Studienanfänger. Was würden sie denen sagen, wenn die jetzt vor ihnen stehen würden und sagen würden, warum soll ich das machen? Soll ich das machen, oder soll ich das nicht machen? 

 

Prof. Dr. Karolin Schäfer: Ja, also die sollen das machen. Sie studieren einen Bereich, der unheimlich interessant und abwechslungsreich ist, mit guten beruflichen Chancen derzeit. Wir haben einen Mangel in unserem Bereich an Sonderpädagogen mit dem FS Hören und Kommunikation. Man hat die Möglichkeit, viel zu lerne. Man hat die Möglichkeit, eine Sprache zu lernen, die deutsche Gebärdensprache. Man hat die Möglichkeit, mit einer sehr interessanten, sehr breiten Schülerschaft in Kontakt zu kommen, die sich über unterschiedliche Erwerbszeitpunkte und unterschiedliche Versorgungsformen und unterschiedliche Sprachmodalitäten völlig unterschiedliche, kognitive Bedingungen oder unterschiedliche Vorerfahrungen auseinanderzusetzten. Da sehe ich schon eher die Frage warum sollte man es nicht studieren? Warum sollte man etwas anders machen als das?