Grammatische Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung (GME)
Projektleitung: PD Dr. Tanja Ulrich
Projektkoordination: Sandra Mennicken, M.Ed.
Unter Mitarbeit von: Kimberly Beil (Forschungspraktikantin BA Sprachtherapie)
Laufzeit: 2019 - 2023
Hintergrund:
Die umfassende Erhebung sprachlicher Fähigkeiten stellt die notwendige Grundlage dar, um den sprachlichen Entwicklungsstand eines Kindes beurteilen und eine evtl. indizierte Förderung möglichst individuell anpassen zu können. Für monolingual aufwachsende Kinder stehen inzwischen eine ganze Reihe standardisierter und normierter Testverfahren zur Verfügung, jedoch können diese nicht unbedingt auch die sprachlichen Fähigkeiten eines mehrsprachig aufwachsenden Kindes erfassen. Es ergeben sich möglicherweise Benachteiligungen (durch Testkonstruktion, kurze Kontaktzeit mit dem Deutschen, etc.), so dass mehrsprachig aufwachsende Kinder evtl. fälschlicherweise als sprachauffällig klassifiziert werden (mistaken identity), obwohl es sich eigentlich um „normale" Auffälligkeiten im Rahmen des Mehrspracherwerbs handelt. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass tatsächlich bestehende Sprachauffälligkeiten eines mehrsprachigen Kindes nicht als solche erkannt werden (missed identity).
Es besteht damit ein diagnostisches Problem, das sich auch im Bereich der grammatischen Fähigkeiten zeigt: Zwar gibt es einige standardisierte und normierte Testverfahren, und durch die im Rahmen des Forschungsprojekts Grammatikerwerb deutschsprachiger Kinder zwischen 4 und 9 Jahren (GED 4-9) erhobenen Daten liegt nun „umfassendes und repräsentatives Grundlagenwissen zu den zentralen grammatischen Fähigkeiten monolingual deutsch aufwachsender Kinder zwischen vier und neun Jahren" (Ulrich, 2017, 563) vor, allerdings lassen sich diese Ergebnisse nicht auf mehrsprachige Kinder übertragen.
Ziel:
Ziel des Forschungsprojekts GME ist es, erste Orientierungsdaten über die grammatischen Fähigkeiten mehrsprachig aufwachsender Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung mithilfe eines Elizitationsverfahrens auf Basis der ESGRAF 4-8 (Motsch & Rietz 2016) zu erheben. Es wird bewusst nicht versucht, Aussagen über den chronologischen Erwerb zentraler grammatischer Regeln im Deutschen als Nicht-Erstsprache zu treffen, da zum einen der Zweitspracherwerb nicht immer der Chronologie des Erstspracherwerbs folgt, und zum anderen der Verlauf der Sprachentwicklung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern als wesentlich heterogener zu beschreiben ist als bei einsprachig aufwachsenden Kindern. So ergibt sich je nach Erwerbsbeginn oder Erstsprache für jedes mehrsprachige Kind eine individuelle Sprachbiographie mit vielen Faktoren, die jeweils einen Einfluss auf den Erwerb des kerngrammatischen Systems der Zweitsprache haben (können).
Vielmehr soll deshalb im Rahmen dieses Projekts der Ist-Zustand der grammatischen Fähigkeiten mehrsprachig aufwachsender Kinder zum Zeitpunkt der Einschulung umfassend erhoben und beschrieben werden. Das Ziel ist es, Informationen darüber zu erhalten, welche Fähigkeiten die Kinder im Deutschen als Nicht-Erstsprache mit in die Schule bringen
Methode:
Zur Vorbereitung dieses Forschungsprojekts wurden in den vergangenen Jahren an der Universität zu Köln eine Reihe von Pilotstudien durchgeführt, die mit dem jeweils gleichen Erhebungsinstrument (ESGRAF 4-8; Motsch, Rietz, 2016) ausgewählte grammatische Bereiche bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern überprüften. Bei der Evozierten Sprachdiagnose grammatischer Fähigkeiten (ESGRAF 4-8) handelt es sich um ein standardisiertes Testverfahren, das die zentralen Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität erfüllt (vgl. Rietz, Motsch, 2014) und mit dem die zentralen morphologischen und syntaktischen Bereiche der deutschen Grammatik (z. B. Subjekt-Verb-Kongruenz, Kasus, Verbzweitstellung, Verbendstellung im subordinierten Nebensatz etc.) „umfassend und hypothesengeleitet" (Rietz, Motsch, 2014, 301) überprüft werden können.
Durch den direkten Vergleich dieser Pilotstudien wurden dann zunächst zentrale Ergebnisse herausgearbeitet, um diese in der Planung des Forschungsprojekts (z. B. mit Blick auf die Stichprobenzusammensetzung) berücksichtigen zu können.
Auf Grundlage der bisherigen und weiteren aktuell laufenden Pilotprojekte erfolgt die konkrete Planung der umfassenden Datenerhebung, die voraussichtlich im Frühjahr 2022 erfolgen wird.
Outcome:
Ulrich, T.; Thater, S.; Mennicken, S. (2021): Kasusfähigkeiten mehrsprachiger Achtjähriger. Eine explorative Pilotuntersuchung in Regelgrundschulen. Logos 29(2), 84-95. Online first: https://up.logos-fachzeitschrift.de/files/LOGOS/inhalte/Inhalte%20der%20Ausgaben/ORG%20ulrich%20et%20al%20online1%20s1.pdf
Olbertz, L. K. (2019): Differenzen zwischen mündlichen und schriftsprachlichen Kasusfähigkeiten mehrsprachiger Kinder im dritten Schulbesuchsjahr einer Grundschule. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Heise, C. (2018): Erhebung der frühen grammatischen Fähigkeiten Subjekt-Verb-Kongruenz und Verbzweitstellung im Hauptsatz bei Schulanfängern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen. Ein Vergleich von monolingual-deutschen und mehrsprachigen Schulanfängern einer Förderschule Sprache. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Lohaus, A. (2018): Verwendung der Verbendstellungsregel von simultan-bilingualen und sukzessiv-bilingualen Erstklässlern. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Plura, H. C. (2018): Erhebung der frühen grammatischen Fähigkeiten Subjekt-Verb-Kongruenz und Verbzweitstellung im Hauptsatz. Ein Vergleich von mehrsprachigen Schulanfängern einer Regelgrundschule und einer Förderschule Sprache. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Thater, S. M. (2018): Kasusfähigkeiten mehrsprachiger Kinder im Deutschen. Eine Untersuchung der Akkusativ- und Dativkorrektheit bei Achtjährigen an Regelschulen. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Baumeister, I. (2017): Der Genuserwerb im Deutschen bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern. Eine vergleichende Untersuchung von Kindern mit türkischer und romanischer Erstsprache. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Motsch, H. J.; Rietz, C. (2016): ESGRAF 4-8. München: E. Reinhardt.
Plura, H. C. (2018): Erhebung der frühen grammatischen Fähigkeiten Subjekt-Verb-Kongruenz und Verbzweitstellung im Hauptsatz. Ein Vergleich von mehrsprachigen Schulanfängern einer Regelgrundschule und einer Förderschule Sprache. Unveröffentlichte Masterarbeit. Köln: Universität zu Köln.
Rietz, C., Motsch, H.J. (2014): Testtheoretische Absicherung der ESGRAF 4-9. In: Empirische Sonderpädagogik 6 (2014) 4, S. 300-312.
Schulz, P., Tracy, R. (2011): LiSe-DaZ. Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zeitsprache. Göttingen: Hogrefe.
Ulrich, T. (2017): Grammatikerwerb und grammatische Störungen im Kindesalter. Ergebnisse des Forschungsprojekts GED 4-9 und ihre Implikationen für sprachdiagnostische und -therapeutische Methoden. Online verfügbar unter: https://kups.ub.uni-koeln.de/9011