Tina Schmid

Zur Sprachentwicklung bei misshandelten Kindern. Eine empirische Untersuchung an Kindern im Alter von 3;0 bis 5;11 Jahren.

Diplom Heilpädagogik – Pädagogik und Therapie bei Sprech- und Sprachstörungen


Kontakt: tina-schmid@gmx.net



Einleitung
Kindesmisshandlungen und deren massive Auswirkungen auf die gesamte kindliche Entwicklung beschäftigen Forscher bereits seit der Antike. Jedoch wurden lange Zeit eher halbherzige Versuche unternommen deren Bedingungsfaktoren und -hintergründe oder Auswirkungen auf den Grund zu gehen. Besonders zur Auswirkung der Kindesmisshandlung auf die Sprachentwicklung existieren bis heute nicht nur in Deutschland nur wenige und kaum aktuelle Studien. Diese Pilotstudie beschäftigte sich aus diesem Grunde mit den Auswirkungen von Kindesmisshandlungen durch primäre Bezugspersonen auf die Sprachentwicklung. Im Hinblick auf die Sprachentwicklung wurde der aktuelle Forschungsstand zusammengetragen und mögliche Bedingungsfaktoren aufgedeckt, die bei misshandelten Kindern die Sprachentwicklung beeinflussen könnten. Auch wurden einige Faktoren der aufgestellten Theorie, speziell für die Unterform der Vernachlässigung, mithilfe einer empirischen Studie an 3;0 bis 5;11 Jahre alten Kindern, näher beleuchtet. 

Fragestellung
Die umfassende Literaturrecherche ergab, dass von allen untersuchten Misshandlungsformen Kindesvernachlässigung die schwerwiegendsten Folgen für die Sprachentwicklung nach sich zieht. Es wurde daher der Sprachstand vernachlässigter Kinder mit dem Standardisierten Sprachentwicklungstest für 3-5 jährige Kinder (SETK3-5) näher, auf der Basis folgender Fragen, untersucht: 

a) Zeigen Kinder, die aufgrund von mittelschwerer bis schwerer Vernachlässigung in deutschen Institutionen betreut werden, Defizite in der Sprachentwicklung? 
b) In welchem Ausmaß zeigen sich diese, sprich befinden sich die Kinder eher am unteren Rand des Normbereiches oder zeigen sie sogar milde bis schwerwiegende Verzögerungen, bzw. Störungen, der Sprachentwicklung?
 
c) In welchen Bereichen lassen sich Entwicklungsrückstände feststellen? 
d) Spiegeln sich bei diesen Kindern Defizite des auditiven Gedächtnisses, wie in der Literatur beschrieben, wieder?

Untersuchungsdesign
Es wurden 3 Mädchen und 3 Jungen der Altersgruppe 3;0 bis 3;11 sowie 4 Mädchen und 4 Jungen der Altersgruppe 4;0 bis 5;11 mit dem SETK3-5 getestet. Daten wurden sowohl durch Befragung der Betreuer, als auch durch direkte Testung der Kinder erhoben. Erfragte Daten waren Alter, Geschlecht, Datum der Aufnahme, sowie die Auskunft ob eine Vernachlässigung im Sinne der Definition vorlag. Von der Testung ausgeschlossen wurden Kinder, bei denen anderen Entwicklungsauffälligkeiten oder Erkrankungen vorlagen, die die Sprachentwicklung beeinträchtigen können, so z.B. Schwerhörigkeit, geistige Behinderungen etc.. Die gewonnenen Daten wurden anhand des Programms SPSS 17.0 für Windows, unter Zuhilfenahme bereits bestätigter Altersnormdaten des SETK3-5, quantitativ sowie qualitativ, anhand der These Bowermans über die 3-Stufen-Entwicklung des morphologischen Regelwissens, ausgewertet.

Ergebnisse
Die Ergebnisse ließen erkennen, dass gerade die jüngeren vernachlässigten Kinder dieser Stichprobe in fast allen Sprachbereichen, also in allen Untertests der Bereiche Sprachproduktion und Sprachgedächtnis, sehr signifikante Abweichungen von der in diesem Alter zu erwarteten Leistung zeigten (α=0,002, bzw. α=0,003). Weiterhin war ein nicht zu vernachlässigender Teil dieser jüngeren Kinder in mindestens 3 Bereichen, unter diesen auch der Untertest „Verstehen von Sätzen“, nur zu einer unterdurchschnittlichen Leistung fähig. Es bestätigte sich somit die Alternativhypothese und bejahte einen Teil von Frage a) und b), ob die getesteten 3-jährigen Kinder Defizite in der Sprachentwicklung zeigen. Frage c) und d) konnten ebenso durch die vorliegenden Ergebnisse beantwortet werden. Es wurde gefunden, dass den 3-jährigen weniger das Sprachverständnis, als vielmehr die Sprachproduktion sowie das Sprachgedächtnis Probleme bereiten. Die Ergebnisse spiegelten somit die besondere Vulnerabilität der expressiven Sprache und des auditiven Gedächtnisses wieder, die auch in vorangegangenen Studien gefunden wurde. Die qualitative Analyse deckte, obwohl bei der partiellen Korrelation kein signifikanter Zusammenhang mit der Betreuungsdauer gefunden werden konnte, zudem ein nicht zu vernachlässigendes Defizit der Kinder in jenem Grammatikbereich auf, der durch die anfängliche Wort-zu-Wort Zuordnung stark von Spracherfahrung abhängig ist, die „Morphologische Regelbildung“. Bei den älteren Kindern konnten die Fragen a), b) und c) so beantwortet werden: Die gefundenen Ergebnisse erreichten zwar keine statistische Signifikanz, jedoch zeigte über die Hälfte der Kinder in mindestens 2 sprachlichen Testbereichen Defizite, die leicht bis deutlich unter dem Altersnormbereich lagen. Auch die qualitative Analyse ergab, dass über die Hälfte der Kinder, unabhängig vom Alter, noch nicht die dritte Stufe der Integration der erworbenen Pluralregeln in ein abstraktes System erreicht hatten, deren Anfang um das 4. Lebensjahr angegeben wird.