Vorträge
Judith Busch
Intention, Praxis und Effekte der Profession des `Spezialpädagogen´ in Schweden

Madeleine Binner & Nina Blakowski
Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung

Sarah Strauß
Peer-Involvement – Eine neue Chance in der Suchtprävention mit Jugendlichen?!
Untersucht am Beispiel des Projektes an.sprech.bar

Michael Grosche
Motivationale Handlungskonflikte und motivationale Interferenz in Hausaufgaben-
situationen bei aggressiven Jugendlichen

Cosima Teuffer
„The Lady of Shalott“. Die Rezeption einer handarbeitenden Frau in der bildenden Kunst
des viktorianischen England

Kristin Müller
Die Motivation zur Berufswahl Psychotherapeut – Ein Vergleich zwischen Schülern,
Studierenden und (angehenden) Psychotherapeuten auf der Basis des Kölner Inventars zur
Berufsmotivation zur Psychotherapie (KIBMOPS)

Julia Pleuß
Phonologische Bewusstheit und Lesefähigkeit bei Kindern und
Jugendlichen mit Down-Syndrom

Posterpräsentationen

Michael Kleinen
Carmen Klosterjeck

Judith Dorniak
Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie und Psychiatrie

Lars Maus
Der Objektivitätsbegriff bei Ranke und Droysen

Anna Conrads
Bindungsstörungen im Kindesalter




Vorträge


Judith Busch
„Intentionen, Praxis und Effekte der Profession des ‚Spezialpädagogen’ in Schweden“
(empirische Diplomarbeit, Heilpädagogik, Allgemeine Heilpädagogik)

Einleitung
Im bildungspolitischen Kontext gilt Schweden als vorbildlich bei der Umsetzung des Leitkonzeptes einer inklusiven „Schule für alle“ im Rahmen der nationalen Gesetzgebung, aber auch in dem Konzept der schwedischen Einheitsschule (grundskola). Als „Veränderungsagenten“ im Namen einer „Schule für alle“ werden gern die schwedischen Spezialpädagogen bezeichnet, eine Berufsgruppe, die seit Anfang der 1990er Jahre in schwedischen Schulen und anderen pädagogischen Einrichtungen zu finden ist.

Fragestellung
Die übergeordnete Fragestellung der Arbeit lässt sich zusammengefasst so ausdrücken: Was sind die Intentionen, was ist die Praxis und was sind die Effekte der Profession des Spezialpädagogen in Schweden?
Der erste Teil der Frage zielt auf die intendierte Berufsrolle des Spezialpädagogen, dokumentiert in offiziellen Berufsbeschreibungen, Verordnungen etc. Dazu gehören auch die historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die zu dem heutigen Berufsbild geführt haben.
Der zweite Teil der Frage zielt auf die Berufswirklichkeit von Spezialpädagogen. Dabei interessieren weniger Aussagen über die Berufsgruppe, als vielmehr individuelle Erfahrungsberichte und Wertungen einzelner Spezialpädagogen.
Der dritte Teil der Frage zielt auf die Wirksamkeit oder den Erfolg der Berufsgruppe des Spezialpädagogen im schulischen Umfeld. Interessant ist vor allem, was die Profession der Spezialpädagogen im Kontext der schwedischen „Schule für alle“ zur Inklusion beitragen kann.

Untersuchungsdesign
Das methodische Vorgehen beinhaltet sowohl eine analytisch-kritische Bearbeitung der relevanten schwedischen Fachliteratur unter besonderer Berücksichtigung historischer und gesellschaftlicher Hintergründe, als auch eine phänomenologisch begründete qualitativ-empirische Untersuchung, die auf den Daten von sechs problemzentrierten Interviews mit Spezialpädagogen, zwei Experteninterviews und zwei protokollierten Gesprächen mit Vertretern benachbarter Berufsgruppen basiert. Die Daten aus einem Fragebogen an die Spezialpädagogen fließen ebenfalls in die Auswertung ein.

Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass die bildungspolitisch intendierte Funktion von Spezialpädagogen von deren tatsächlicher Funktion divergiert. Die Ausbildungsstätten bereiten ihre Studenten auf eine primär beratende Funktion im Lehrerkollegium vor, so dass Regelschullehrer mit deren Unterstützung allen Schülern im Klassenverband gerecht werden können. Zwei Probleme werden offenbar:
1) Erst seit der Lehrerausbildungsreform 2001 werden alle Lehrer dafür ausgebildet, pädagogisch für die Vielfalt der Schülerpopulation zuständig zu sein.
2) Traditionell haben Speziallehrer als „Vorgänger“ der Spezialpädagogen die Aufgabe gehabt, schwache, langsame oder störende Schüler meist außerhalb des Klassenverbandes in speziellen Klassen und Gruppen zu fördern.
Diese Erwartung begegnet auch den heutigen Spezialpädagogen. Weiterhin zeigen die Interviews, dass die Möglichkeit einer Berufsausübung nach den ausbildungspolitischen Intentionen durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt wird. Neben den Erwartungen und Traditionen des schulischen Umfelds sind besonders die Schulleitung, die kommunale und nationale Ökonomie und die Politik der Regierung, aber auch die innere Identifikation mit dem neuen Berufsbild und die individuelle Wahl, zu welchen Zwecken Spezialpädagogen „ihre Kompetenzen zur Verfügung stellen wollen“ (Emanuelsson), von Bedeutung.

Resümee
Bei der Synthese der Ergebnisse, unter Einbeziehung der aktuellen Debatte um die Zukunft der Spezialpädagogen, wurde deutlich, dass eine Klärung der Spezialpädagogenrolle notwendig ist. Schon vor ihrem Wahlsieg bei der schwedischen Reichstagswahl im September 2006 hat die bürgerliche Allianz ihr Programm zu dieser Frage vorgestellt: Es müssen wieder Speziallehrer ausgebildet werden. Abzuwarten bleibt, wie sich die Rolle beider Berufsgruppen in den nächsten Jahren verändern wird.

Madeleine Binner und Nina Blakowski
„Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung – Situationsanalyse und Prävention“
(empirische Examensarbeit, LA Sonderpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik)

Einleitung
Sexuelle Gewalt ist in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema – über sexuelle Gewalt gegen Menschen mit (geistiger) Behinderung (MmGB) wird noch weniger gesprochen. Dass es überhaupt zu sexueller Gewalt gegen MmGB kommt - und das weitaus häufiger als angenommen - wurde erst Anfang der 90er Jahre in Studien aufgezeigt.

Fragestellung
Die Examensarbeit ist in zwei Teile gegliedert, wobei der erste Teil die theoretischen Grundlagen aufgreift. Es wird der Frage nachgegangen, was sexuelle Gewalt bei Menschen mit geistiger Behinderung ist, und wie durch Prävention und Intervention dagegen angegangen werden kann.
Aus unserer Studie (zweiter Teil) soll hervorgehen, inwieweit das Thema der sexuellen Gewalt im Schulalltag gegenwärtig ist, und ob Präventionsmaßnahmen und Sexualerziehung im Unterricht verankert sind. Ebenfalls interessierte uns die Frage, inwieweit die Erfahrungen aus der Schulpraxis mit den von uns erarbeiteten theoretischen Grundlagen übereinstimmen. Schwerpunkte wurden auf die Sexualerziehung in Schulen und auf sexuelle Gewalt gelegt.

Untersuchungsmethode
Für unsere Untersuchung wählten wir die Methode der schriftlichen Befragung in Form von Fragebögen.
Wir haben mehrere Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung willkürlich per E-Mail angeschrieben, um zu fragen, ob sie bereit wären, an der Befragung teilzunehmen.
An der Befragung nahmen 131 Lehrkräfte aus 15 Schulen in den Bundesländern Niedersachsen, Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen teil.

Ergebnisse
Geistige Behinderung stellt einen erhöhten Risikofaktor dar, Opfer sexueller Gewalt zu werden. So gaben 40% der Befragten an, mindestens einen Fall von sexueller Gewalt in ihrer Klasse zu kennen.
Sexualerziehung wird von 85% der Befragten als Präventionsmaßnahme gegen sexuelle Gewalt gesehen. Scheinbar hängt es nicht vom Alter der Lehrer ab, ob in den Klassen Sexualerziehung unterrichtet wird, sondern vielmehr von dem Alter der Schüler.
So unterrichtet ungefähr die Hälfte der Lehrer, die angaben, dass Sexualerziehung kein Thema im Unterricht ist, in der Unterstufe.
Erschreckend ist aber vor allem die Zahl derer, die in der Ober- oder Werkstufe unterrichten und keine Sexualerziehung durchführen. Diese Angaben wurden von 22% der Befragten gemacht.
Als Grund für die ausbleibende Sexualerziehung wurde von mehr als der Hälfte angegeben, dass der Lehrplan dieses Thema zur Zeit nicht vorsehe.
Wir konnten feststellen, dass das Thema der sexuellen Gewalt in Schulen recht häufig präsent ist, so gab lediglich ein Fünftel an, dass über das Thema in der Schule nicht gesprochen wird.
Elternarbeit als Präventionsmaßnahme wurde von nur 58% angegeben. Hier sollte man dringend ansetzen, damit Schule und Elternhaus Hand in Hand arbeiten können und die Kinder keine einmalige Sexualaufklärung erhalten, sondern die Sexualerziehung in die alltägliche Erziehung einfließen kann. Außerdem ist es wichtig, dass Eltern um das spezielle Risiko ihrer Kinder wissen.
Um das Angebot an Informationen bezüglich sexueller Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern und vor allem zu vergrößern, wären aktuelle repräsentative empirische Untersuchungen dringend notwendig - die letzten veröffentlichten Untersuchungen liegen ungefähr 10 Jahre zurück.


Sarah Strauß
„Peer-Involvement - Eine neue Chance in der Suchtprävention mit
Jugendlichen?! Untersucht am Beispiel des Projektes an.sprech.bar“
(Literaturarbeit, Erziehungswissenschaft)

Die Arbeit setzt sich mit dem Thema Peer Involvement in der Suchtprävention mit Jugendlichen auseinander. Peer Involvement stellt eine mögliche Methode in der Präventionsarbeit dar, die auf der besonderen Beziehung zwischen Gleichaltrigen aufbaut, Jugendliche als Experten ihrer eigenen Situation anerkennt und unmittelbar in die Präventionsarbeit mit einbezieht.

Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick darüber zu schaffen, was Peer Involvement und damit verbundene Ansätze auszeichnet und herauszuarbeiten, ob der Boom dieser Ansätze in der Praxis gerechtfertigt ist. Hierbei werden die theoretischen Hintergründe und darauf aufbauend die Wirkweise von Peer Involvement beschrieben.
Die Arbeit soll zur Orientierung und Vereinfachung in der kaum zu überblickenden Flut von Begrifflichkeiten (z.B. Peer Education, Peer Tutoring, Peer Support, Peer Counseling usw.) führen. Im Zuge der schnellen und zahlreichen Verbreitung von Projekten, die sich selbst dem Peer Involvement zuordnen, werden auch schwierige und kritische Aspekte dieses Ansatzes betrachtet. Parallel dazu wird ein Überblick über primäre und sekundäre Suchtprävention, Substanzkonsum bei Jugendlichen und dessen Spezifik, sowie den entwicklungstheoretischen Hintergrund gegeben. Zur praktischen Erläuterung der theoretischen Inhalte wird das Kölner Suchtpräventionsprojekt "an.sprech.bar“ vorgestellt.

Bei der Betrachtung des Suchtpräventionssystems in Deutschland sind jugendspezifische Defizite und Lücken zu erkennen. So ist festzustellen, dass besonders für konsumierende Jugendliche ein eher geringes Angebot besteht, so dass durch vorhandene Präventionsmaßnahmen meist nur drogenabstinente Jugendliche und drogenabhängige Erwachsene erreicht werden.
Die Betrachtung von jugendlichem Drogenkonsum weist zwei Kennzeichen auf. Auf der einen Seite haben sich in den letzten Jahren keine extremen Veränderungen in den Konsummustern von Jugendlichen ergeben, obwohl dies oft so dargestellt wird. Auf der anderen Seite fehlen hier jedoch eindeutige, positive Veränderungen. Besonders die Gruppe der 16- bis19jährigen Jugendlichen ist als Gruppe erkennbar, die am meisten konsumiert und die kritischsten Konsummuster aufweist. Darüber hinausgehend zeigt sich, dass der Konsum von Drogen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen insgesamt einige Besonderheiten aufweist und nicht mit dem Konsum von Drogen im Erwachsenenalter gleichgesetzt werden kann. Das Jugendalter hat zwar zentrale Bedeutung für die Entwicklung von Suchtstrukturen, die sich im Erwachsenenalter verfestigen und fortsetzten können, jedoch ist bei den meisten Jugendlichen der zum Teil exzessive Drogenkonsum ein vorübergehendes Phänomen. Risikoverhalten im Jugendalter, wozu auch der Drogenkonsum gezählt wird, kann eine positive Funktionalität für die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben haben und entlastend wirken.
Bei der Betrachtung der Vielfalt an Projekten, die sich selbst als Peer-Projekte betiteln, fällt auf, dass in der aktuellen Literatur zahlreiche Bezeichnungen für diese Art der Arbeit nebeneinander existieren und nicht trennscharf voneinander abgegrenzt sind. Peer Involvement ist hierbei als eine Art Überbegriff für Projekte und Ansätze zu verstehen, die Jugendliche ausbilden, um andere Jugendliche über bestimmte Themen zu informieren oder zu beraten.

Bei der Beleuchtung des theoretischen Hintergrundes von Peer Involvement hat sich herausgestellt, dass dieser breit gefächert ist, generell jedoch in den zahlreichen Praxisbeschreibungen von Peer Involvement meist wenige, kurze oder nur allgemeine Hinweise auf die zugrunde liegende Theorie vorhanden sind. In dieser Arbeit werden die verschiedenen Hinweise zusammengefasst und intensiver beleuchtet. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Entwicklungspsychologie und insbesondere die Aufgaben und Funktionen der Gleichaltrigengruppe. Neben der Entwicklungspsychologie wurden die Bedeutung des Modelllernens, die Theorie der sozialen Impfung und die Theorie der Diffusion von Informationen als theoretische Basis für Peer Involvement betrachtet. Die Gemeindepsychologie und die mit ihr verbundenen Themen Partizipation und Empowerment spielen besonders in Hinblick auf die Sensibilisierung und die Verbreitung jugendspezifischer Belange und für die Anerkennung jugendlicher Kompetenzen eine besondere Rolle. Abschließend wird die Jugend- und Szenesprache als Eigenheit von jugendlichen Subkulturen betrachtet.

Die Arbeit endet mit einer kritischen Betrachtung des Peer Involvement-Ansatzes, die sowohl Praktiker, als auch Theoretiker darauf hinweisen soll, dass Peer Involvement kein Ansatz ist, der aufgrund seiner momentan starken Verbreitung leichtfertig übernommen oder zu idealistisch betrachtet werden sollte. Dies stellt auch gleichzeitig den ersten Kritikpunkt dar, der auf die bisher mangelnde empirische Nachweisbarkeit dieses Ansatzes hinweist. Es stellt sich die Frage, ob klassische Präventionsprogramme nicht vielleicht wirksamer oder gleich wirksam sind. Des Weiteren ist offen, ob Peer Involvement tatsächlich eine Methode darstellt, die den beteiligten Jugendlichen Möglichkeiten zur Partizipation bietet, oder einen Eingriff in die jugendliche Subkultur darstellt, der einen stark instrumentellen Charakter hat und Jugendlichen einen Bedarf an Hilfe von außen zuschreibt. Es wird darauf hingewiesen, dass Jugendliche und auch die Gruppe der drogenkonsumierenden Jugendlichen nicht als einheitliche Gruppe betrachtet werden kann. Unterschiede in Herkunft, Alter und nicht zuletzt Geschlecht sind wichtige Eigenschaften, die nicht vernachlässigt werden dürfen. Von einigen Kritikern wird darauf hingewiesen, dass Peerbeziehungen in Peer Involvement-Projekten beschönigt dargestellt werden und dass die Teilnahme an Peer Involvement-Projekten möglicherweise sogar negative Auswirkungen für Jugendliche haben kann. Nicht zuletzt ist anzumerken, dass es fragwürdig ist, ob die wirklich gefährdeten Jugendlichen und Subgruppen überhaupt durch Peer Involvement erreicht werden können.
Bezugnehmend auf den Titel der Arbeit ist die Autorin abschließend zu einem bejahenden Ergebnis gekommen, da Peer Involvement trotz einiger zu beachtender Kritikpunkte, Chancen in der Präventionsarbeit bietet eine bisher kaum erreichte Zielgruppe effektiv anzusprechen.
Bezugnehmend auf den Titel der Arbeit ist die Autorin abschließend zu einem bejahenden Ergebnis gekommen, da Peer Involvement - trotz einiger zu beachtender Kritikpunkte - Chancen bietet, in der Präventionsarbeit eine bisher kaum erreichte Zielgruppe effektiv anzusprechen.



Michael Grosche
„Motivationale Handlungskonflikte und motivationale Interferenz in Hausaufgabensituationen bei aggressiven Jugendlichen“
(empirische Examensarbeit, LA Sonderpädagogik, Heilpädagogische Psychologie)

Einleitung
Effektivitätsstudien zu Hausaufgaben zeigen, dass engagiertes Hausaufgabenverhalten die Schulleistung positiv beeinflusst, jedoch die für die Hausaufgaben aufgewendete Zeit durch motivationale Probleme konfundiert ist und daher keinen oder sogar einen negativen Beitrag zur Schulleistungsentwicklung liefert (z.B. Schnyder et al., 2006; Niggli et al., 2007). Bisher wurde das Lern- und Arbeitsverhalten von aggressiven Schülern im Allgemeinen und während der Hausaufgaben im Speziellen wenig untersucht, obwohl sich zur Erklärung von Lern- und Verhaltensstörungen zum Teil ähnliche theoretische Zugänge anbieten (zusf. Schröder et al., 2002; Linderkamp & Grünke, 2007). Meist wird implizit davon ausgegangen, dass aggressive Schüler durch ihr Verhalten weniger Zeit zum Lernen aufwenden (können). Wenn aber die Hausaufgabenzeit keinen Beitrag zur Erklärung der Leistungsentwicklung liefert, so stellt sich erst recht die Frage, ob aggressive Schüler die Hausaufgaben gleich effektiv nutzen können wie ihre nicht-aggressiven Klassenkameraden, zumal Hausaufgaben einen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Verhaltensstörungen liefern können (Naumann, 2004; Lauth & Heubeck, 2006).
Um diese Frage zu beantworten, wurde für die vorliegende Studie die Theorie motivationaler Handlungskonflikte (Hofer, 2004, 2007) als Fundierung gewählt, die einen Ansatz des selbstregulierten Lernens darstellt und damit für die Erforschung von Hausaufgabensituationen besonders geeignet ist (Trautwein & Köller, 2003). Die Theorie motivationaler Handlungskonflikte postuliert, dass die Anreize von Freizeithandlungen (z.B. Fernsehen oder Freunde treffen) zu einem Entscheidungskonflikt zwischen Hausaufgaben und Freizeit führen. Sollten sich Schüler nach einem Handlungskonflikt dennoch für die Hausaufgabenerledigung entscheiden, so werden Einbußen im Lernverhalten und Erleben (motivationale Interferenz) angenommen.

Fragestellung
Der Studie liegt die Frage zugrunde, ob sich männliche aggressive Schüler von nicht-aggressiven Schülern in ihrem Hausaufgabenverhalten hinsichtlich (a) motivationaler Handlungskonflikte, (b) motivationaler Interferenz und (c) aggressiver Reaktionen auf Handlungskonflikte unterscheiden? Dazu wurden sechs Hypothesen aufgestellt (s.u.).

Methodik
Insgesamt wurde die Selbsteinschätzung von 260 männlichen Schülern aus 24 Klassen von 6 Hauptschulen bezüglich der Konstrukte „motivationale Handlungskonflikte“ und „motivationale Interferenz“ mit Hilfe eines vollstandardisierten Fragebogens erhoben, dessen Items von den Arbeitsgruppen um Manfred Hofer (Universität Mannheim) und Ulrich Trautwein (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin) entwickelt wurden. Zusätzlich gingen sechs selbstentworfene Items zur aggressiven Reaktion auf Handlungskonflikte in den Fragebogen ein. Nach einer Reliabilitätsanalyse wurden zwei der letztgenannten Items eliminiert, wodurch die Reliabilität gesichert wurde (Cronbach’s α zwischen .74 und .80). Die Aggressivität wurde mit dem Youth Self-Report (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) erhoben und durch eine Lehrereinschätzung verifiziert. Insgesamt konnten so n = 43 aggressive Schüler gefunden werden, die mit n = 43 nicht-aggressiven Klassenkameraden anhand des sozioökonomischen Status, der Klassenzugehörigkeit und des Alters (mittleres Alter 15 Jahre) sorgfältig parallelisiert wurden. Zusätzlich wurden so Lehrer- und Schulvariablen in beiden Gruppen konstant gehalten. Die Hypothesen wurden mit dem T-Test für abhängige Stichproben überprüft.

Ergebnisse
Die Hypothesen konnten mit einer Ausnahme signifikant bestätigt werden. Aggressive Schüler erleben vermehrt motivationale Handlungskonflikte (t(39) = 3.637, p = .001, d = 0.83) und entscheiden sich in ihnen eher für die Freizeithandlung (t(41) = 5.354, p = .000, d = 1.14). Bearbeiten sie dennoch die Hausaufgaben, erleben sie stärkere kognitive, affektive und behaviorale Einschränkungen als ihre nicht-aggressiven Mitschüler: Sie berichten über stärkere Einbußen der Persistenz der Aufgabenbewältigung, sie lassen sich leichter ablenken und bearbeiten die Aufgaben oberflächlicher (t(42) = 3.307, p = .001, d = 0.70). Sie berichten weiter über eine stärkere Stimmungsbeeinträchtigung und haben verstärkt das Gefühl etwas zu verpassen (t(42) = 2.902, p = 0.003, d = 0.55). Sie springen häufiger zwischen den Aufgaben und Freizeitaktivitäten hin und her und reagieren aggressiver auf Handlungskonflikte (t(42) = 3.639, p = .001, d = 0.80). Allerdings erleben sie entgegen der Erwartung die Entscheidung für eine Handlungsalternative in einem Handlungskonflikt ähnlich leicht wie die Vergleichsgruppe (t(42) = -0.759, p = .226, d = -0.14). In einer nachträglich aufgestellten Hypothese konnte bestätigt werden, dass in der Gruppe der aggressiven Schüler aggressive Reaktionen auf Handlungskonflikte und der Streit mit den Eltern wegen der Hausaufgaben zusammenhängen (r = .258, p = .047, einseitige Testung), nicht jedoch in der Gruppe der nicht-aggressiven Schüler (r = .145, p = .354, zweiseitige Testung). Die Ergebnisse blieben auch unter den konservativen Bedingungen einer α-Fehler-Adjustierung nach Bonferroni signifikant.

Schlussfolgerungen
Aggressive Schüler werden durch ihr Verhalten massiv daran gehindert, die Hausaufgaben effektiv zu bearbeiten. Dadurch sollten der Lernzuwachs und die Entwicklung der Kompetenz zu selbstreguliertem Lernen geringer als in der Vergleichsgruppe ausfallen. Als mögliche Intervention wird der Einsatz therapeutischer und pädagogischer Trainings zur Förderung der Valenz der Hausaufgaben, vor allem aber zur Förderung des selbstregulierten Lernens (zusf. Lauth, Grünke & Brunstein, 2004) diskutiert. Das Lern- und Arbeitsverhalten aggressiver Schüler sowie Verhaltensstörungen bei Schülern mit Lernstörungen sollten darüber hinaus stärker als bisher erforscht werden. Dies könnte sich in einer weiteren Vernetzung der Forschungsbereiche der Förderschwerpunkte Lernen und sozial-emotionale Entwicklung in Verbindung mit der Heilpädagogischen Psychologie zeigen, um die Unterrichtung von Schülern mit komorbiden Lern- und Verhaltensstörungen weiter zu professionalisieren.

Literatur
Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist (1998). Fragebogen für Jugendliche; deutsche Bearbeitung der Youth Self-Report Form der Child Behavior Checklist (YSR). Einführung und Anleitung zur Handauswertung. 2. Auflage mit deutschen Normen, bearbeitet von M. Döpfner, J. Plück, S. Bölte, K. Lenz, P. Melchers & K. Heim. Köln: Arbeitsgruppe Kinder-, Jugend- und Familiendiagnostik
Hofer, M. (2004). Schüler wollen für die Schule lernen, aber auch anderes tun. Theorien der Lernmotivation in der Pädagogischen Psychologie. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 18 (2), 79-92
Hofer, M. (2007). Goal conflicts and self-regulation: A new look at pupils’ off-task behaviour in the classroom. Educational Research Review, 2 (1), 28-38
Lauth, G. W., Grünke, M. & Brunstein, J. C. (Hrsg.) (2004). Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und Therapie in der Praxis. Göttingen: Hogrefe
Lauth, G. W. & Heubeck, B. G. (2006). Kompetenztraining für Eltern sozial auffälliger Kinder (KES). Ein Präventionsprogramm. Göttingen: Hogrefe
Linderkamp, F. & Grünke, M. (2007) (Hrsg.). Lern- und Verhaltensstörungen. Genese, Diagnostik, Intervention. Weinheim: Beltz PVU
Naumann, K. (2004). Anleitung von Eltern und Erziehern zur Hausaufgabenbetreuung. In: G. W. Lauth, M. Grünke & J. C. Brunstein (Hrsg.). Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und Therapie in der Praxis. Göttingen: Hogrefe, 197-208
Niggli, A., Trautwein, U., Schnyder, I., Lüdtke, O. & Neumann, M. (2007). Elterliche Unterstützung kann hilfreich sein, aber Einmischung schadet: Familiärer Hintergrund, elterliches Hausaufgabenengagement und Leistungsentwicklung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 54 (1), 1-14
Schnyder, I., Niggli, A., Cathomas, R., Trautwein, U. & Lüdtke, O. (2006). Wer lange lernt, lernt noch lange nicht viel mehr: Korrelate der Hausaufgabenzeit im Fach Französisch und Effekte auf die Leistungsentwicklung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 53 (2), 107-121
Schröder, U., Wittrock, M., Rolus-Borgward, S. & Tänzer, U. (2002) (Hrsg.). Lernbeeinträchtigung und Verhaltensstörung. Konvergenzen n Theorie und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer
Trautwein, U. & Köller, O. (2003). The relationship between homework and achievement – still much of a mystery. Educational Psychology Review, 15 (2), 115-145



Cosima Teuffer
„The Lady of Shalott“. Die Rezeption in der bildenden Kunst und das Rollenverständnis einer handarbeitenden Frau im viktorianischen England“
(Literaturarbeit, LA, Sek. I, Textilwissenschaft)

Einleitung
Das Motiv des Handarbeitens wird in der darstellenden Kunst häufig verwendet und reicht bis in die Antike (vgl. Athena als Schutzgöttin der Weberinnen) zurück. Nachantik werden u.a. die Jungfrau Maria und die hl. Elisabeth handarbeitend in Apokryphen bzw. Legenden erwähnt. Textiles Arbeiten wird zu symbolischer Tätigkeit, die die Dargestellte als tugendhaft, keusch, häuslich und sittsam charakterisiert. Die Darstellungen bekommen so einen adhortativen Charakter: Frauen sollen es den Abgebildeten gleichtun.
Im viktorianischen England sollten Mädchen fürsorgliche Töchter sein und wurden zu zukünftig sittsamen Ehefrauen erzogen. Als Zeitvertreib im Alltag einer Dame war das Handarbeiten vielfach erwünscht: Frauen waren dadurch ans Haus gebunden und außerdem wurde Ausdauer, Geduld, Präzision und Gleichmäßigkeit geübt. Zudem machte es überprüfbar, ob die Ehefrau sich während der Abwesenheit ihres Mannes nicht anderweitig (sündhaft) beschäftigt hatte.
Ab der Mitte des XIX. Jahrhunderts begannen die ersten Frauen „unweiblich“ gegen das traditionelle Frauenbild zu opponieren und für ihre Rechte zu kämpfen.
Das Gedicht „The Lady of Shalott“ von Alfred Lord Tennyson war seiner Zeit sehr populär und handelt von einer Frau, die eingesperrt in einen Turmzimmer, dazu verdammt ist, fortwährend zu handarbeiten. Nur durch einen Spiegel darf sie in die Außenwelt schauen. Das Spiegelbild Ritter Lancelots verleitet sie zum direkten Blick aus dem Fenster. Handarbeit und Spiegel zerspringen augenblicklich und sie muss sterben.

Fragestellung
Gegenstand der Arbeit ist die Analyse verschiedener Rezeptionen des Gedichtes „The Lady of Shalott“ in der bildenden Kunst. Die Fragestellung lautet: Wie und mit welcher Absicht änderten Maler die vorgegebene Geschichte der Lady und wie lauten die neugebildeten Erzählungen bzw. wie verschieben sich Intentionen.
Dabei ist es von besonderem Interesse, warum die Lady of Shalott handarbeitet bzw. warum diese Vorgabe von den Malern des Themas übernommen wurde. Auf der Basis des Gedichtes werden drei ausgewählte Bilder zweier Maler und einer Malerin miteinander verglichen.

Ergebnisse
Tugendhafte und verachtenswerte Frauen werden in der Kunst handarbeitend dargestellt: Während jedoch die tugendhafte Frau emsig arbeitet, lässt die gefallene Frau vom Handarbeiten ab oder der Spinnfaden reißt. Da die Handarbeit der Lady of Shalott von einer höheren Macht strafend zerstört wird, zählt sie zu den „untugendhaften“ Frauen und speziell zu denen, die sich gegen ihr auferlegtes Schicksal wehren und die gegen ihre Pflicht, in häuslicher Isolation eingeschlossen zu sein, verstoßen.
Der Holzstich von Hunt spiegelt die konservative Einstellung des Malers gegenüber Frauen deutlich wider. Er stellt die Dame als zu recht bestraft dar und zeigt keinerlei Mitleid mit ihrem Schicksal, das sie selbst durch ihr Pflichtversäumnis bzw. untugendhaftes Verhalten bewirkte.
Meteyard hingegen stellt die Sehnsucht der Lady nach einem erfüllteren Leben als legitim dar. Den Männern seiner Zeit will er vor Augen führen, wie das Schicksal ihrer Ehefrauen aussieht, und den Umgang der – männlich dominierten – Gesellschaft mit Frauen kritisieren.
Elizabeth Siddalls Zeichnung ist eine wesentlich subtilere Version als die der männlichen Künstler. Sie konzentriert sich in ihrer Darstellung auf das Fehlen von Freiheit und Selbstbestimmung.

Resümee
Im Gedicht wird die Lady of Shalott für ihren Kontakt zur Außenwelt bestraft. Einige Maler hingegen haben die Handlung abgewandelt. So entstehen nicht einfach Illustrationen zum vorgegebenen Thema, sondern neue Geschichten. Die vehementen Unterschiede der Bilder untereinander wurden von den Künstlern durch die Hinzufügung von symbolhaften Objekten sowie das Aussparen von im Gedicht erwähnten Aspekten bewirkt. Ob der Popularität der Lady of Shalott scheint es plausibel, dass die Maler versuchten, durch auffällige Differenzen zwischen ihren Bildern und dem Gedicht eigene Meinungen zum Thema auszudrücken.


Kristin Müller
„Die Motivation zur Berufswahl Psychotherapeut/in - Ein Vergleich
zwischen Schülern, Studierenden und (angehenden) Psychotherapeuten auf der Basis des Kölner Inventars zur Berufsmotivation zur Psychotherapie (KIBMOPS)“
(empirische Diplomarbeit, Psychologie, Klinische Psychologie)

Neben weiteren Aspekten der Berufsmotivation steht hier insbesondere die Frage nach den Zusammenhängen zwischen den vorgefundenen Studienbedingungen an den deutschen Universitäten (situative Einflussgrößen) und der Motivation zur Wahl einer bestimmten therapeutischen Orientierung im Mittelpunkt.
In der bisherigen Diskussion zur Berufswahl Psychotherapeut/in wurden vorrangig zwei Motivkomplexe unterschieden, die sich entweder auf die Persönlichkeit des Psychotherapeuten oder auf die situativen Einflussfaktoren (berufsbildende Einflüsse der Universitäten und Weiterbildungsinstitute) beziehen. Die vorliegende Studie konzentriert sich hauptsächlich auf die Frage nach den Zusammenhängen zwischen den vorgefundenen Studienbedingungen an den deutschen Universitäten (situative Einflussgrößen) und der Motivation zur Wahl einer bestimmten therapeutischen Orientierung. Methode: Die (Querschnitts-) Daten wurden mittels einer bundesweiten, internetbasierten Fragebodenstudie erhoben (N = 525). Ergebnisse: Die Befunde weisen auf eine im Laufe der Ausbildung eintretende Interessenverschiebung in der präferierten psychotherapeutischen Hauptrichtung hin. Das anfängliche Interesse an psychodynamischen Therapieverfahren (52 % der SchülerInnen) wandelt sich im Laufe des Studiums in eine Bevorzugung der Verhaltenstherapie (54 % der Psychologiestudierenden). Dabei scheinen situative Einflussfaktoren (der Universitäten) in höherem Maße die Richtungswahl in der Psychotherapie zu bestimmen als Persönlichkeitsfaktoren. Angaben zur Informationslage im Studium zeigten, dass sich 48 % der Studierenden zu wenig oder einseitig über die unterschiedlichen Therapieverfahren informiert fühlten. Diese kritische Aussage traf vor allem für die Untergruppe der verhaltenstherapeutisch orientierten Studierenden zu (54 %) (35 % der psychodynamisch orientierten Studierenden). Insgesamt ergaben sich folgende signifikante Unterschiede: 83 % der Studierenden fühlten sich bzgl. der Verhaltenstherapie, 60 % bzgl. der Gesprächstherapie, 55 % bzgl. der Psychoanalyse und nur 40 % bzgl. der Tiefenpsychologie ausreichend informiert. Verhaltenstherapeutisch orientierte Studierende berichteten (im Vgl. zu anders orientierten Studierenden) von einer ausführlicheren Informierung hinsichtlich der Verhaltenstherapie (χ2 [3, N = 124] = 10.627 p < .05). Gefragt nach den Gründen für die Wahl eines Therapieverfahrens nannten 94 % der Psychologiestudierenden ihre persönliche Neigung, weitere 65 % finanzielle Kriterien und 63 % die Wissenschaftlichkeit des Verfahrens. Signifikante Unterschiede zeigten, dass insbesondere die wissenschaftliche Relevanz eines Therapieverfahrens für die verhaltenstherapeutisch orientierten Studierenden ein bedeutendes Wahlkriterium darstellte (χ2 [3, N = 133] = 11.63, p < .01). Die tiefenpsychologisch orientierten Studierenden nannten bevorzugt mehr subjektive Motivierungen/ persönliche Erfahrungen (45 %) sowie Motive der wissenschaftlichen Auseinandersetzung (45 %) und kaum sozioökonomische Motive (3%). Verhaltenstherapeutisch orientierten Studierende erwähnten hingegen oftmals sozioökonomische Motive (16 %) sowie durch den akademischen Einfluss geprägte Motive (Wissenschaftlichkeit, Wirksamkeit, therapeutisches Arbeiten) und kaum subjektive Motivierungen (16 %) / persönliche Erfahrungen (1 %). Weiterhin ergab sich eine klare positive Entsprechung zwischen der erfahrenen Bewertung der Therapieverfahren durch die Lehrenden und den von den Studierenden präferierten Therapieverfahren. 91% der Studierenden gaben an, dass ihre Dozenten (und auch Kommilitonen) die Verhaltenstherapie am besten bewerteten, danach folgte die Gesprächstherapie (64%), die Tiefenpsychologie (29 %) und die Psychoanalyse (24 %). Die Bewertung der Verhaltenstherapie durch die Lehrenden wurde von den verhaltenstherapeutisch orientierten Studierenden deutlich positiver eingeschätzt (χ2 [3, N = 122] = 8.141, p < .05), die Bewertung der Tiefenpsychologie und Psychoanalyse von den psychodynamisch orientierten Studierenden (χ2 [3, N = 120] = 15.027, p < .01).
Studierende, die eine deutlich bessere Bewertung der Psychodynamischen Verfahren an ihrer Universität erfahren hatten (60 % der tiefenpsychologisch und nur 20 % der verhaltenstherapeutisch orientierten Studierenden), entschieden sich eher für die Wahl eines Psychodynamischen Verfahrens. Ein weiterer Vergleich zwischen Medizin- und Psychologiestudierenden zeigte deutliche Unterschiede in der Lehrstuhlbesetzung/ Bewertung der Therapieverfahren durch die Dozierenden sowie in der präferierten Therapierichtung.
Verhaltenstherapeutisch qualifizierte Professoren sind eher im Psychologiestudium vertreten, psychodynamisch qualifizierte eher im Medizinstudium. Die Mehrheit der Psychologiestudierenden (91 %) beschrieb einer deutlich bessere Bewertung der Verhaltenstherapie durch die Lehrenden (61 % der Mediziner), während sich bei den Medizinern eher eine (vermutete) bessere Bewertung der Psychodynamischen Verfahren abzeichnete. Hinsichtlich der Informationsvermittlung zeigten sich weitere
signifikante Unterschiede, die darauf hindeuteten, dass die Mediziner zwar weniger ausführlich bezüglich der therapeutischen Verfahren informiert werden, sich die Informationsgabe hinsichtlich der verschiedenen therapeutischen Verfahren jedoch gleichmäßiger verteilt. In der persönlichen Bewertung der Gesprächstherapie und Tiefenpsychologie ließen sich keine bedeutenden Abweichungen zwischen Medizin- und Psychologiestudierenden feststellen. Die Psychoanalyse wurde von den Medizinstudierenden deutlich besser eingestuft, die Verhaltenstherapie schlechter. Insgesamt zeichnete sich bei den Medizinern eine Bevorzugung der Gesprächstherapie ab, über welche am ausführlichsten im Studium (positiv) informiert wird. Wissenschaftlichkeit (47 %) und finanzielle Kriterien (51 %) schienen weitaus weniger ausschlaggebende Einflussfaktoren der Mediziner darzustellen, deren Motive sich vorrangig auf die persönliche Neigung (96 %) sowie die therapeutische Ergänzung der medizinischen Behandlung bezogen.


Julia Pleuß
„Phonologische Bewusstheit und Lesefähigkeit bei
Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom - eine empirische Untersuchung“
(empirische Examensarbeit, LA Sonderpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik)

Einleitung
Die Untersuchung befasst sich mit der phonologischen Bewusstheit und dem Lesen bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Unter phonologischer Bewusstheit wird die Fähigkeit verstanden, die Lautstruktur der gesprochenen Sprache zu erkennen, also z. B. Silben und Reime (phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne) oder einzelne Laute (phonologische Bewusstheit im engeren Sinne) herauszuhören.

Der Zusammenhang zwischen phonologischer Bewusstheit und Lesefähigkeit ist in den letzten 20 Jahren eingehend untersucht worden und konnte bei nichtbehinderten Kindern eindeutig festgestellt werden. Dagegen wurde ein solcher Zusammenhang bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom bisher nur in wenigen Studien erforscht. Bei diesem Personenkreis wurde das Vorhandensein einer phonologischen Bewusstheit sowie ein Zusammenhang zur Lesefähigkeit in zwei Studien sogar gänzlich angezweifelt (Cossu et al. 1993; Evans 1994). Spätere Studien, die andere, für diese Zielgruppe besser geeignete Methoden und Aufgaben zur Überprüfung der phonologischen Bewusstheit wählten, legen jedoch nahe, dass eine Verbindung dieser Fähigkeiten wie bei nichtbehinderten Kindern besteht.
Im deutschen Sprachraum existiert bisher noch keine Studie, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Einen Ansatz zu einer solchen Untersuchung beinhaltet diese Examensarbeit.

Fragestellung
Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, ob bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom ein Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und der Lesefähigkeit besteht. Dabei wird versucht, Ergebnisse von Untersuchungen, die einen positiven Zusammenhang aufzeigten, für den deutschen Sprachraum zu replizieren und
somit einen weiteren Hinweis dafür zu liefern, dass auch bei Menschen mit Down-Syndrom phonologische Bewusstheit und Lesen eng zusammenhängen. Dazu wurden zwei Hypothesen aufgestellt. Erstens: Es gibt eine messbare phonologische Bewusstheit bei Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Zweitens: Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und der Lesefähigkeit bei dieser Zielgruppe.

Untersuchungsmethode
Es wurde eine quantitative Methode eingesetzt, die speziell an Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom angepasst wurde. Das Untersuchungsinstrumentarium besteht aus einer Batterie hauptsächlich informeller, teilweise selbsterstellter Testverfahren, mit denen sowohl Daten zur phonologischen Bewusstheit als auch zur Lesefähigkeit erhoben wurden. Die Ergebnisse wurden miteinander korreliert, um Aussagen über einen Zusammenhang treffen zu können.
Das Design der Untersuchung ist ein „within-subjects design“; es wurden Untersuchungen innerhalb einer Gruppe von 17 Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom durchgeführt.

Ergebnisse
Bei den meisten Probanden konnte eine phonologische Bewusstheit festgestellt werden. Außerdem bestand ein starker positiver Zusammenhang zwischen dieser und der Lesefähigkeit, die gemessenen Werte korrelierten signifikant bis hochsignifikant, so dass die zugrundeliegenden Hypothesen bestätigt werden konnten. Allerdings galt
dies nur für die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne, nicht für die im weiteren Sinne. Sowohl die phonologische Bewusstheit als auch die Lesefähigkeit der Teilnehmer untereinander unterschieden sich deutlich; dabei waren die besseren Leser diejenigen mit einer höher ausgeprägten phonologischen Bewusstheit.

Resümee
Diese Untersuchung kann als weiterer Hinweis in die Richtung gelten, die neuere englischsprachige Studien aufgezeigt haben, dass nämlich bei Kindern mit Down-Syndrom ebenso wie bei Kindern ohne Behinderung ein deutlicher Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und dem Lesen besteht. Dies sollte sich verstärkt auf die Praxis auswirken. Denn auch wenn dies noch nicht empirisch überprüft ist, legt der Zusammenhang zwischen diesen Fähigkeiten nahe, dass eine Förderung der phonologischen Bewusstheit Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom beim Leseerwerb unterstützen kann.


Posterpräsentationen

Michael Kleinen

„Carmen Klosterjeck“
(Literaturarbeit, Heilpädagogik, Geistigbehindertenpädagogik)

Haben Menschen, die wir als „Geistig Behindert“ bezeichnen, etwas zu sagen, das uns interessiert? „Klar haben sie!“ mögen viele zunächst antworten. Doch wo finden Berührungspunkte statt? Im Wohnheim, in der Werkstatt (WfbM) Menschen, die keinen direkten Bezug zum Leben von Menschen mit einer geistigen Behinderung haben, werden nur selten einen engeren Kontakt und damit einen Bezug zum Thema Behinderung finden, stellte Schuchardt schon vor 20 Jahren fest (vgl. Schuchardt 1988, 11). Mehr noch: Haben Menschen mit geistiger Behinderung überhaupt eine Lebensgeschichte? Fritsche und Störmer verneinten 1988 diese Frage (vgl. Fritsche, Störmer 1988, 17f). Die vorliegende Arbeit stellt die These auf, dass diese Aussage auch heute noch zutrifft. Denn die Lebensgeschichte besteht aus Inseln von Erinnerungen, die in der Erzählung vor dem Vergessen bewahrt werden (vgl. Palmowski 2002, 13). Der Zuhörer für einen Menschen mit Behinderung ist meist nur sein Betreuer. Wie viel Zeit bleibt in Zeiten zunehmender Personalfluktuation und Ökonomisierung in der Betreuungsarbeit für den einzelnen Menschen?
Carmen Weiss hat ihre Lebensgeschichten zu erzählen. Nicht nur, damit sie selbst sie nicht vergisst, sondern auch, weil der Zuhörer so viel über die Vergangenheit eines Menschen mit geistiger Behinderung in unserer Gesellschaft erfährt. In ihrer Geschichte lernt man die institutionelle Situation vor über 50 Jahren und den Werdegang einer Komplexeinrichtung am Niederrhein ebenso wie die paradigmatischen Veränderungen in der Heil- und Sonderpädagogik hautnah kennen. Ich traf Frau Weiss 2005, es entstanden regelmäßige Treffen, bei denen wir gemeinsam immer tiefer in ihre Vergangenheit eintauchten. Ihre über 50-jährige Heimgeschichte war so spannend, dass sich daraus ein Buchprojekt, gefördert von der Aktion Mensch, entwickelte. 1500 Bücher mit dem Titel „Carmen Klosterjeck.“ wurden in nur 3 Monaten verkauft, Lesungen fanden statt.
Die begleitende Diplomarbeit beschäftigt sich einerseits mit der Pädagogischen
Biografiearbeit in der Geistigbehindertenpädagogik im Kontext der praktischen Erfahrungen durch die Arbeit mit Carmen Weiss und andererseits mit dem Stiefkind sozialer Einrichtungen: Eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Wie stellt sich eine Behinderteneinrichtung nach Außen dar? Was interessiert die Gesellschaft und wie kann man sie für das Thema Behinderung interessieren? Jubiläumsheftchen und Sommerfeste können die breite Öffentlichkeit nicht erreichen. Die, um die es in der Institution eigentlich geht, werden selten in den Mittelpunkt gestellt. Öffentlichkeitsarbeit muss zentraler Gegenstand Heilpädagogischer Arbeit werden: Studien belegen, dass nur wenig Integration durch den Aufbau gemeindenaher Wohnangebote stattgefunden hat (vgl. Klauß 1996, 62). Mit dem Ziel der Inklusion muss Öffentlichkeitsarbeit neue Wege gehen, denn der, um den es in der Einrichtung geht, hat viel zu sagen und die Medien interessieren sich für ihn, für sein Schicksal, für sein Leben (vgl. Sack, Schlummer 1999, 23). Neue Wege einer institutionellen Öffentlichkeitsarbeit werden in der vorliegenden Diplomarbeit mit Vorreitern diskutiert (z.B. Katja de Braganca, Ohrenkuss Bonn). Es wird ein neues Konzept institutiografischer Arbeit aufgestellt und anhand eigener Erfahrungen mit dem Buchprojekt um Carmen Weiss erläutert. Mit dem „Klosterjeck“ hat sich die Öffentlichkeitsarbeit in der Komplexeinrichtung (ein ehemaliges Kloster), in der Frau Weiss lebt, etabliert: Carmen Klosterjeck war die bisher erfolgreichste PR-Kampagne dieser Einrichtung. Frau Weiss berichtet aus ihrer langen Heimgeschichte und bewegt den Leser, indem sie Dinge auf ihre ganz eigene Art auf den Punkt bringt: „Wenn du mal als Bekloppter dargestellt wirst, dann weißt du, wovon ich rede. Die denken sich „blablabla“, du hättest nur Müll zu verzapfen. Früher nannten sie mich den Idioten, Jecken. Und auch heute noch kriegst du das Gefühl nicht los, wenn du durchs Dorf gehst. Neulich sagte man mir in der Wirtschaft, ich solle bitte rausgehen: nur für Männer geöffnet. So was schon mal gehört? Nur für Männer! Ich sagte dem Wirt: „Oder einfach nur nicht für uns Klosterjecke geöffnet?!“ Die Entschuldigungen danach wie „so war das nicht gemeint!“ konnte der sich in den Hintern stecken! Ich sage dir eines: Lerne früh die Menschen kennen, denn sie sind veränderlich. Die sich heute Freunde nennen, reden morgen über dich.“

Literatur
Fritsche, I., Störmer, N.: Sie haben alle eine Akte, aber keine Geschichte. In: Zur Orientierung. 12/1988, S. 17-18
Klauß, T.: Ist Integration leichter geworden? Zur Veränderung von Einstellungen für die Realisierung von Leitideen. In: Geistige Behinderung, 1/35, 1996. S. 56-68
Palmowski, W., Heuwinkel, M.: Normal bin ich nicht behindert. Wirklichkeitskonstruktionen bei Menschen, die behindert werden. Verlag Modernes Lernen, Dortmund. 2002
Sack, R., Schlummer, W.: Mut zur Lücke. Wenn die Realität den Takt bestimmt – Öffentlichkeitsarbeit in Baden-Württemberg. In: Verbandsdienst der Lebenshilfe, Heft 2/1999. S. 22-25
Schuchardt, E.: Jede Krise ist ein neuer Anfang. Aus Lebensgeschichten lernen. In: Zur Orientierung. 12/1988, S. 10-12
Weiss, C.: Carmen Klosterjeck. Gollenstede-Verlag, Heinsberg. 2005


Judith Dorniak

„Sexuelle Übergriffe in der Psychotherapie und Psychiatrie“
(empirische Diplomarbeit, Psychologie, Klinische Psychologie)

Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens von Paragraph 174c StGB, der TherapeutInnen den sexuellen Kontakt zu ihren PatientInnen bei Strafe untersagt, wurde eine Nachfolgeuntersuchung der Studie von Becker-Fischer und Fischer (1997) durchgeführt. Gegenstand der Untersuchung waren die situativen Umstände sexueller Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie (SÜPP), Risikovariablen der TherapeutInnen und PatientInnen, resultierende Folgen für die PatientInnen sowie der rechtliche Umgang mit der Thematik. Anhand einer Onlineversion des Fragebogens zu sexuellen Kontakten in Psychotherapie und Psychiatrie (SKPP; Becker-Fischer, Fischer & Jerouschek) wurden betroffene PatientInnen zu ihren diesbezüglichen Erfahrungen befragt. Die Angaben von N = 77 ProbandInnen wurden sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet. Die überwiegende Mehrheit der UntersuchungsteilnehmerInnen berichtete von einer Verschlechterung ihres Befindens als Folge des SÜPP. Die geschilderten Folgebeschwerden bewegen sich ohne Ausnahme im Rahmen des professionalen Missbrauchstraumas (PMT). Die von Becker-Fischer und Fischer beschriebenen stereotypen Interaktionsmuster zwischen TherapeutIn und PatientIn (Skripts) können bestätigt werden. Die Mehrheit der ProbandInnen unternahm keinen der möglichen rechtlichen Schritte, es kam nur in drei Fällen zu einem förmlichen Verfahren. Aus den Ergebnissen wird der Schluss gezogen, dass SÜPP für die betroffenen PatientInnen höchst schädliche Konsequenzen hat, die TherapeutInnen jedoch trotz der veränderten Gesetzeslage nicht häufiger zur Rechenschaft gezogen werden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine verstärkte Aufklärung der betroffenen PatientInnen über ihre gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten sinnvoll. Auch müssen Überlegungen bezüglich des Schutzes der Betroffenen vor einer möglichen weiteren Traumatisierung im Kontext der Verfahrensdurchführung angestellt werden.

Lars Maus
„Der Objektivitätsbegriff bei Ranke und Droysen“
(Literaturarbeit, LA, Geschichte)

Einleitung
Heute wird die Pluralität von Wahrheit kaum mehr bestritten, doch ist dies letztlich eine recht junge Erkenntnis. In der Antike wie auch im Mittelalter ist ein korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff vorherrschend. Objektivität bezeichnet somit eine absolute Übereinstimmung mit dem Gegenstand. Eine radikale Schwächung erfährt diese Annahme durch Kants Kritik der reinen Vernunft und Hegels dialektischen Erfahrungsbegriff. In diesem Kontext ist die Entstehung der Geschichtswissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts und deren Lösung von der Philosophie zu verstehen. Geschichte ist nun nicht mehr die reine Darstellung, sondern wird nun durchaus kritisch beurteilt. Zwei zentrale Vertreter der Geschichtswissenschaft dieser Zeit sind Leopold von Ranke und Johann Gustav Droysen. Sie werden in der postmodernen Literatur meist als Kontrahenten begriffen. Im Fokus der Arbeit steht dabei das Verständnis der Objektivität beider Protagonisten. Fraglich ist, ob die Annahme des Gegensatzes bezüglich des Begriffes der Objektivität aufrecht erhalten bleiben kann. Die Verständnisse beider Historiker werden in einer exegetisch-kritischen Analyse verglichen. Zunächst wird der Objektivitätsbegriff von Ranke aufgearbeitet und folgend Droysens Verständnis direkt gegenübergestellt. Diese kontrastive Interpretation erfolgt (soweit möglich) ohne Wertung und beruht auf dem Grundverständnis der "wohlwollenden Interpretation".

Arbeitsinhalte
Geschichtswissenschaftliches Arbeiten gründet sich nach Ranke auf Quellen. Je näher diese am historischen Ereignis sind, desto authentischer wird die Geschichtsschreibung, doch ist zugleich keine Vollständigkeit der Darstellung möglich. Geschichte ist in durch den Historiker konstruierte Epochen gegliedert, die jeweils ihren Wert aufweisen und nicht mit den Normen einer anderen Zeit bewertet werden dürfen. Somit muss sich auch der Historiker von den Werten seiner Gegenwart lösen und Geschichte möglichst vorurteilsfrei begreifen. Durch die Arbeit des Historikers bei der Verknüpfung der Epochen miteinander entsteht ein objektiver Zusammenhang, eine Kontinuität von Ursache und Wirkung. Die geforderte Unparteilichkeit benötigt zugleich die Ästhetik der Darstellung, denn erst der Historiker macht Vergangenheit zur Geschichte. Der Anspruch der Objektivität ist aber ein Ideal, dass nicht erreicht werden kann. Somit ist Ranke nicht, wie häufig geschehen, als radikaler Objektivist oder naiver Realist zu verstehen. Droysen greift die Quellen als Ansatz der Geschichtsschreibung auf, fasst deren Begriff weiter und formuliert in seiner Historik ein Werk als methodische Arbeitsanleitung. Gleich ist ihm mit Ranke, dass Geschichte erst durch die Arbeit des Historikers entsteht. Ein Unterschied im Verständnis zeigt sich in der Darstellung. Entgegen Rankes objektiven Bestrebungen zwecks Unparteilichkeit fordert Droysen das politische, religiöse und parteiliche Urteil des Historikers zur Wirkung in der Gegenwart. Geschichte ist für Droysen das Legitimationsmedium der werdenden deutschen Nation, seine Intention ist Freiheit.
Grundlegende Differenzen bestehen im Verständnis von Geschichte selbst. Primat der Erkenntnis ist bei Ranke das annähernd objektive Faktum aus dem Geschichte wird, bei Droysen die interpretativ-subjektive Idee, die sich zirkulär um etwas bewegt. Deswegen kann dessen Verständnis nur rein subjektiv sein. Die Richtigkeit einer historischen Aussage ergibt sich somit nicht aus Mehrzahl der Quellen, sondern über die Art der Auffassung. Wahrheit wird nun plural begriffen. Geschichte wird bei Droysen im kontinuierlichem Fortlauf ausschließlich dialektisch verstanden, womit der rankesche objektive Zusammenhang der Historie nicht mehr bestehen kann.

Ergebnis
Was das theoretische Verständnis von Geschichte betrifft, so ist dies bezüglich der Objektivität bei beiden Historikern different. Ranke postuliert ein Ideal, der Historiker habe sich der Objektivität asymptotisch anzunähern. Zugleich ist er sich aber der Unmöglichkeit der endlichen Verwirklichung bewusst. Droysen hingegen begreift Historie zwecks Legitimation gegenwärtiger Zustände, Geschichtsschreibung wird somit intentional. Bezüglich der geschichtswissenschaftlichen Methodik ist die Differenz nicht aufrecht zu erhalten. Vielmehr wird hier eine Genese deutlich. Ranke begründet methodische Kriterien, die letztlich von Droysen aufgegriffen und ausgearbeitet werden.


Anna Conrads
Bindungsstörungen im Kindesalter - Ein Beitrag zur Theorie und Praxis von Diagnose und Therapie
(empirische Untersuchung, Heilpädagogik, Heilpädagogische Psychologie)

Theoretischer und empirischer Hintergrund
Bindungsstörungen sind in der ICD-10 unter Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F9), genauer unter Störungen sozialer Funktionen (F94), erfasst. Aktuell wird zwischen „Reaktiver Bindungsstörung“ (F94.1) und „Bindungsstörung mit Enthemmung“ (F94.2) unterschieden. Beide Formen werden nach Brisch (2002) auf tiefgreifende Veränderung und Deformierung in der Bindungsentwicklung zurückgeführt und werden im Zusammenhang von frühkindlichen Traumata und Erlebnissen von Misshandlung, sexueller Gewalt, Vernachlässigung und ständig wechselnden Bezugspersonensystem genannt.

Bindungsstörungen sind eine erst in den letzten Jahrzehnten eingeführte Kategorie, über die – im Vergleich zu den klassischen Bindungsmustern (sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend und desorganisiert) – bisher wenig (empirisches) Wissen vorliegt. Die vorliegenden Leitlinien und fachliterarischen Annahmen beruhen vermehrt auf Einzelfallanalysen und Hypothesen. Mit Hilfe von leitfadengestützten Experteninterviews wird der Frage nachgegangen, wie diese Störungen in der Praxis konkret erkannt und behandelt und ob bzw. wie sie differentialdiagnostisch von den klassischen Bindungsmustern (v. a. der Bindungsdesorganisation) abgegrenzt werden.

Fragestellung
Wie werden Bindungsstörungen im Kindesalter in der Praxis definiert, diagnostiziert und behandelt? Inwieweit stimmt das „Störungsbild“ von Experten mit der bisherigen theoretischen Konzeption überein? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich in den einzelnen Aussagen entdecken?

Untersuchungsmethode
Zur Klärung der Forschungsleitfrage wurden 7 leitfadengestützte Experteninterviews (Meuser & Nagel, 1991) zum Thema „Bindungsstörungen im Kindesalter“ durchgeführt. Im Gespräch wurden die tatsächlich bedeutsamen Merkmale der Störungen und die Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie herausgefiltert und die Hypothesen geprüft.
Zur Auswertung der Daten wurden die Vorschläge von Lamnek und Mayring , zur qualitativen Inhaltsanalyse berücksichtigt. Demnach wurden alle Interviews streng methodisch kontrolliert und schrittweise analysiert. Die Methode umfasst folgende Schritte: Zusammenfassung der Interviews, Kategorienentwicklung und Explikation.
Die Interviews wurden nach den folgenden hypothesenbezogenen Kategorien ausgewertet:
- Definition und Abgrenzung einer desorganisierten Bindung von Bindungsstörung
(Kategorie: Beschreibung)
Kriterienorientierung für die Diagnose einer Bindungsstörung und Modifikations-
vorschläge (Kategorie: Orientierung)
Verwendete diagnostische Verfahren bei Bindungsstörungen (Kategorie:
Beurteilung)
- Interventionsmöglichkeiten (Kategorie: Behandlung)

Ergebnisse
Insgesamt weisen die Ergebnisse der Untersuchung auf eine uneinheitliche Definition sowie ein heterogenes praktisches Vorgehen bezüglich Diagnostik und Behandlung kindlicher Bindungsstörungen hin. Die Heterogenität der Aussagen spiegelt auch die bisherige Erkenntnis aus der Literaturarbeit wider: die vergleichsweise dürftige Datenlage zum Thema kindliche Bindungsstörungen wirft viele ungeklärte Fragen auf, die selbst Experten derzeit noch nicht schlüssig beantworten können. Die vorliegende Untersuchung vermittelt daher vor allem einen Aufriss der praktischen Vorgehensweise bei der Diagnostik und Behandlung kindlicher Bindungsstörungen. Die Schwierigkeiten bzw. Unsicherheiten bzgl. Diagnose und Therapie sind in erster Linie auf geringe Forschungsaktivitäten zurückzuführen. Denn seit der 1980 erfolgten Etablierung der Bindungsstörung in das Klassifikationssystem ICD-9 scheint es keine weiteren Bemühungen zur einheitlichen Definition und Diagnostik mehr gegeben zu haben. Darüber hinaus mangelt es an etablierten klinischen Richtlinien für eine effektive Behandlung, was mit dem Fehlen spezifischer (test)diagnostischer Verfahren einhergeht. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung machen den erheblichen Klärungsbedarf in dieser Hinsicht deutlich.

Impressum
Veranstalter:
„NachwuchsforscherInnen gesucht“
Pia Bienstein
Isabel Lindner
Dorothee Schlebrowski
Verena Wein
Beiträge:
ReferentInnen
Homepagegestaltung:
Helge Düselder
Fotos mit Albert Einstein:
Anna von Boeselager
Helge Düselder
Druck:
Hausdruckerei der Humanwissenschaftlichen Fakultät
Hausdruckerei des Hauptgebäudes
Regionales Rechenzentrum der Universität zu Köln


Danksagung:

Wir möchten uns ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die uns dabei unterstützt haben, diesen Präsentationstag zu realisieren. Unser Dank gilt insbesondere dem Dekan, Prof. Dr. Thomas Kaul, dem Dekanat sowie der Studentischen Interessenvertretung (StIv) der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln für die organisatorische und finanzielle Unterstützung. Danken möchten wir auch Werner Gierse und seinem Team für die schnelle und engagierte Unterstützung bei Homepageangelegenheiten. Helge Düselder für die tatkräftige Unterstützung und Beratung für das Design und Layout der Flyer und Aktualisierung der Homepage. Danken möchten wir noch Anna von Boeselager und Helge Düselder für die zur Verfügungstellung der Fotos.
Gedankt sei auch den DozentInnen, die uns den Kontakt zu den Vortragenden vermittelt haben, sowie Werner Schlummer, der im Rahmen des Newsletters mehrfach auf den Präsentationstag aufmerksam gemacht hat. Besonders herzlich möchten wir uns auch bei den Vortragenden selbst bedanken, die durch ihre Beiträge diesen Präsentationstag möglich machen.