Dissertationsprojekt von Dr. Alexandra Flügel:

„Kinder können das auch schon mal wissen..."

Nationalsozialismus und Holocaust im Spiegel kindlicher Reflexions- und Kommunikationsprozesse

 

Zusammenfassung:

Die Diskussion, ob der Nationalsozialismus als Thema in der Grundschule geeignet sei, wird seit etwa Mitte der 1990er Jahre in Deutschland geführt.

Dabei wird nicht nur nach Wegen gesucht, wie das Thema im Rahmen des Primarstufenunterrichts zu vermitteln sei, sondern ebenso die Debatte geführt, ob das Thema Nationalsozialismus für Kinder grundsätzlich eine Überforderung darstelle. Während die Zumutbarkeit gegenüber Kindern den einen Pol der skeptischen Positionierung beschreibt, markiert die Befürchtung, die Komplexitätsreduktion für den Grundschulunterricht würde zu einer unangemessenen Darstellung der nationalsozialistischen Vergangenheit führen, den gegenüberstehenden Pol des Spannungsfeldes.

Diese bisher zwar diskutierte, jedoch für den Grundschulunterricht in Deutschland noch nicht untersuchte Frage, stellt ein Desiderat dar (vgl. Deckert-Peaceman 2002, S. 319), dem sich die Arbeit „Nationalsozialismus und Holocaust im Spiegel kindlicher Reflexions- und Kommunikationsprozesse" widmet.

Im Zentrum der qualitativ angelegten Untersuchung stehen die Geschichtskonstruktionen der interviewten Kinder. Als theoretischer Bezugsrahmen, vor dem die Ergebnisse interpretiert werden, dient zum einen die Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Erinnerungsdiskurs, sowie seinem Niederschlag in der so genannten „Erziehung nach Auschwitz".

Folglich wird der Frage nachgegangen, wie sich die Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit im kulturellen Gedächtnis formiert und wo erinnerungskritische Momente auszumachen sind. Zum anderen dient als zweite Bezugsgröße die aktuelle Kindheitsforschung, sowohl in der Anlage der Untersuchung als auch im Rekurs auf das aktuelle Kindheitsverständnis.

Die Rekonstruktion und Interpretation der Interviews weist zum Beispiel auf die Indienstnahme der Vergangenheit - auch durch die Grundschülerinnen und Grundschüler - hin. Über die Erinnerung an den Nationalsozialismus wird nationale Zugehörigkeit markiert und ausgehandelt. Des Weiteren zeigt sich, dass Kinder über das Thema NS ihr Kindheitsverständnis und die Generationenbeziehung thematisieren. Um die mit dem Nationalsozialismus und Holocaust verbundenen verunsichernden und destabilisierenden Momente auszubalancieren, greifen die Kinder auf „heikle" Geschichtskonstruktionen zurück und schaffen Distanz über das „In-Szene-Setzen" der schulischen Rahmung.

Veröffentlichungen:

Flügel, Alexandra: „Kinder können das auch schon mal wissen..." Nationalsozialismus und Holocaust im Spiegel kindlicher Reflexions- und Kommunikationsprozesse. Opladen. 2009.